Hammelburger-Album

Arnold Samuels, einer der letzten noch lebenden jüdischen Hammelburger besuchte Anfang August dieses Jahres mit einem Neffen seine Heimatstadt. Dietmar Katzer hat diese Gelegenheit genutzt, um ihm ein paar Fragen zur Lage der Juden in Hammelburg während der NS-Zeit zu stellen:

 

Wie oft warst du nach dem Krieg wieder in Hammelburg?

Gut vier- bis fünfmal

Die Reise fast vom Pazifischen Ozean über Tausende von Kilometern nach Hammelburg sind doch sicher für dich eine große körperliche Anstrengung, und deine Erinnerungen an Deutschland können nicht frei von Bitterkeit sein.

Was veranlasst dich trotzdem, die Strapazen auf dich zu nehmen?

In Deutschland liegen meine Großeltern begraben. Hier sind gewissermaßen meine Wurzeln.

Wie alt warst du, als du Hab. verlassen musstest?

Etwa dreizehn, vierzehn.

Wie war bis 1933 das Zusammenleben von Juden und Christen?

Das war ganz normal. Die Erwachsenen gingen normal miteinander um und auch bei uns Jungen gab es keine Spannungen.

Gab es Spannungen politischer oder wirtschaftlicher Art?

Überhaupt keine.

Waren die Juden isoliert?

Es gab keine Grenzen zwischen uns und den Christen.

Gab es Freundschaften zwischen den Konfessionen? Unter den Kindern? Den Erwachsenen?

Natürlich. Da hat eigentlich keiner danach gefragt: Bist du ein Jude, bist du ein Christ?.

Wie seid ihr in der Schule behandelt worden?

Bis auf einen hat mich im Gymnasium kein Lehrer spüren lassen, dass ich Jude bin. Der, sein Name war Muehler, hat immer zu mir gesagt: Du bist Jude, setz dich in die letzte Bank. An sonstige Zurücksetzungen kann ich mich nicht erinnern. Das war ungefähr 1936.

Was veränderte sich nach 1933?

Sobald die Nazis an die Macht kamen, wollten sie unter sich bleiben. An der HJ und den anderen Verbänden durften wir natürlich nicht teilnehmen.

Womit erklärten sich die Juden, warum sie plötzlich anders behandelt wurden?

Ich weiß nicht, was unsere Eltern für eine Meinung über die veränderten politischen Verhältnisse hatten. Mit uns Kindern wurde darüber nicht gesprochen.

Woran haben die Juden zuerst erkannt, dass ihnen unter den Nazis Gefahr droht?

Ich weiß nicht, ob ihnen die Gefahr überhaupt bewusst war. Dass unser Leben in Gefahr war, wurde uns ausgerechnet von einem Nazi gesagt. Spät in der Nacht noch kam er, sein Name war Stumpf, in unser Haus und sagte uns, dass wir ins Ausland flüchten sollten. Meine Eltern packten das Notwendigste in ein paar Koffer und an einem der nächsten Tage fuhren wir nach Hamburg und von dort kamen wir noch nach Amerika durch.

Was habt ihr mit euerem Besitz gemacht?

Unser Besitz? Mit dem konnten wir gar nichts machen. Alles blieb da. Wir waren froh, unser Leben retten zu können.

Wann haben die ersten Juden Hab. verlassen?

Ich glaube 37 oder 38.

Was ist mit denen geschehen, die dageblieben sind?

Es ist keiner übriggeblieben.

Wie verlief dein erstes Wiedersehen mit Bekannten nach dem Krieg?

Im Krieg habe ich mich freiwillig zur amerikanischen Armee gemeldet. Zuletzt diente ich in einer Einheit, die in Bad Brückenau stationiert war. Von dort ist es ja nicht weit bis Hammelburg. Gleich am ersten Tag traf ich am Marktplatz einen alten Freund. Ich rief ihn an: He, kennst du mich nicht mehr? Und dann lagen wir uns in den Armen.

Du hast in den letzten Jahren wiederholt vor deutschen Schulklassen in Hammelburg gesprochen. Was war dabei dein Hauptanliegen?

Diese Begegnungen mit der Jugend waren mir immer besonders wichtig. Den jungen Menschen habe ich an unserem Schicksal gezeigt, wohin die Naziideologie geführt hat. Und hab den Kindern gesagt, dass sie gegen das Gift der Neonazis wachsam sein sollen, damit nicht noch einmal deren Menschenverachtung und Überheblichkeit soviel Blut und Leid über die Menschen bringt. Wenn wir uns nicht an die Geschichte erinnern, müssen wir die gleichen Fehler noch einmal machen.

 

Dietmar Katzer hat Arnold Samuels Antworten etwas gekürzt und diese gestraffte Fassung ihm zur Billigung vorgelegt. Hier seine Antwort:

 “Had a hard time downloading your article but finally got it. I think that we covered all the important areas. You are right about people not wanting to read lengthy articles. They want to read more sports. Over here the kids learn very little about ww-2 or the Hitler days. Only a few care about history. It is sad because if you don't remember history you will make the same mistakes again”

“Ich hatte einige Schwierigkeiten, bis es mir gelang, deinen Artikel herunterzuladen. Ich denke, dass wir auf alle wichtigen Fragen eingegangen sind. Du hast ganz recht, dass die Leute keine langen Artikel lesen wollen. Sie interessieren sich mehr für Sport. Hier in Amerika lernen die Kinder sehr wenig über den 2. Weltkrieg oder über die Hitlerzeit. Nur ein paar machen sich Gedanken über Geschichte. Das ist schlimm; denn wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verurteilt, die gleichen Fehler noch einmal zu begehen.“

Mehr Info über A. Samuels
Main-Post v. 15.11.2000
Phyllis Samuels ist tot. Die 76-jährige Amerikanerin starb an ihrem Heimatort im Staat Washington nach einem langen Krebsleiden. Vielen Hammelburgern ist sie als Ehefrau von Arnold Samuels bekannt. Samuels hatte Hammelburg
1936 im Rahmen der Judenverfolgung im Alter von 12 Jahren verlassen müssen. Durch die Aussöhnungs-Initiative von Bürgermeister Arnold Zeller kam Samuels fünf Mal mit seiner Frau zu Besuch nach Hammelburg. Phyllis Samuels hatte ihren Mann immer wieder ermuntert, Kontakte zu den Stätten seiner Jugend und ehemaligen Freunden aufzubauen. Zu Gast war das Ehepaar bei Familie Maul. Unvergessen ist Samuels Rede zur Übergabe der Inschrift an der ehemaligen Synagoge an der Oberen Stadtmauer. In den Schulen informierte Samuels über seine Jugend, die einst blühende jüdische Gemeinde, aber auch den Nazi-Terror gegen die Juden im Dritten Reich.

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