Schachteln aus schlechtem Karton, verblichene Druckfarben und handgemachte Spielsteine – in den wenigen erhaltenen Spielen aus der „Spieltruhe Jung“ in Morlesau steckt ein spannendes Stück Nachkriegsgeschichte. In Morlesau bei Hammelburg entstand kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine kleine Spielefabrik, die beinahe richtig groß geworden wäre – aber das Schicksal wollte es anders. Bei Sammlern sind noch ungefähr zehn verschiedene Spiele im Umlauf. Wie viele wirklich im Programm der „Spieltruhe Jung & Co.“ waren, lässt sich kaum mehr feststellen, denn es gibt keine Unterlagen mehr aus dieser Firma, die ungefähr drei Jahre lang produzierte. Nur durch Befragungen vor Ort und mit einigen Archivalien aus dem Staatsarchiv Würzburg ließ sich die Firmengeschichte einigermaßen rekonstruieren.
Leo Krimmer setzte seine Ideen schnell und zielstrebig um, mitten in Morlesau und mit wenig Investitionen. Bereits im Frühjahr 1946 hatte er die ersten Lizenzen bekommen. Der behördliche Schriftverkehr für sämtliche Genehmigungen zog sich bis 1947 hin. Nach den ersten „Testmustern“ lief die Produktion sicher schon vorher an – mit den damaligen Mitteln und Verhältnissen eine abenteuerliche Angelegenheit. Papier war rationiert, Farbe nur eingeschränkt erhältlich, Maschinen sowie Verkehrs- und Transportwege zum Teil noch vom Krieg zerstört. Kein Problem war die Beschaffung von Holz und menschlicher Arbeitskraft – Leo Krimmer wurde gefragter Arbeitgeber.
Ungefähr 25 fest Angestellte und bis zu 70 Heimarbeiter aus dem näheren und weiteren Umkreis, darunter viele Heimatvertriebene, arbeiteten für die „Spieltruhe Jung & Co.“ Der Name Jung stammte von der mitbeteiligten Schwiegermutter von Leo Krimmer, Sophie Jung (geb. 1881). Leo Krimmer durfte aufgrund eines schwebenden Spruchkammerverfahrens noch keine Firma gründen. Das Logo mit der Truhe und dem Kasperle entwarf Malermeister Willi Behr aus Saarbrücken, der damals auch in Morlesau wohnte.
Zu den ersten Produkten gehörten wahrscheinlich das „Domino“, das „Tier-Domino“, das Rechenspiel „Zahlenknirps“ und das Würfelspiel „Volle Sieben“. Nach einem Werbeprospekt gab es noch das Würfel-Quiz „Was weißt Du?“, das Solitärspiel „Solo“, das Legespiel „Das goldene Handwerk“, das Stäbchenspiel „Bunterlei“ und das Balance-Kreiselspiel „Hinein“. Als neues Unterhaltungsspiel kam das etwas kompliziertere „Astron“ dazu, das dem chinesischen Mah Jong ähnelte. Es war mit ca. 20,—DM (nach der Währungsreform) das teuerste Spiel, denn es war aufwändig hergestellt und die Spielsteine mussten mit vielen Zeichen und Bildern aus Schablonen bemalt werden. Die anderen Spiele kosteten nach dem Prospekt zwischen 0,50 DM („Hinein“) und 2,75 DM („Tierdomino“).
Die Spiele waren für Kinder und Erwachsene geeignet und überwiegend einfach zu spielen – bis auf „Astron“. Das bunte Sortiment förderte Rechenkünste, Denkvermögen und Allgemeinbildung. Leo Krimmers Hoffnung, dass die Spiele Eingang in den Schulunterricht finden würden, erfüllte sich aber nicht.
Die Geschäfte entwickelten sich gut und Leo Krimmer kaufte nach einiger Zeit auch eine ausgediente Baracke aus dem Kriegsgefangenenlager Hammelburg, die als Lager, Büro und zum Teil zur Produktion diente. Die Umsätze florierten und im Herbst 1948 war das Lager gut gefüllt für das Weihnachtsgeschäft. Da läutete eines Tages die Feuerglocke. In der Baracke war durch einen Sägemehlofen ein Feuer ausgebrochen und vernichtete einen Großteil der Produktion. Schlagartig waren alle Hoffnungen zerstört: die Spieltruhe Jung & Co. hörte auf zu existieren. Leo Krimmer kehrte zurück nach Frankfurt und nahm seine alte Tätigkeit in einem Verlag wieder auf.




