Herr Sepp Halbritter hat diesen Text seiner Mutter Beate Halbritter dem Hammelburger Album zur Verfügung gestellt.
1920 bis 1923 Hochinflation. Der Kurs des Dollar kletterte von Tag zu Tag in schwindelnde Höhe und unsere alte Goldmark war nichts mehr wert. Ein kleines Roggenbrötchen kostete zuletzt 3 Milliarden Mark. Man brauchte fast Aktenmappen, um die großen Scheine unterzubringen. In Hammelburg wurde bereits 1918 Notgeld ausgegeben, unterzeichnet von Bürgermeister Michelbach und Hofrat Dr.Georg Oschmann.
Viele alte Menschen, die von ihrem Ersparten leben mussten, standen vor dem Nichts. Rente gab es zu der Zeit nicht. In den Großstädten verhungerten Menschen und viele nahmen sich das Leben. Hammelburg war ein armes Städtchen. Industrie gab es nicht; kleine Geschäftsleute, Handwerker, Beamte, kleine Bauern und Winzer.
In der Stadt sah es mies aus. Die Abwässer aus den Häusern flossen auf die Straße und an den Straßenrändern der Saale zu. Starken Regen nutzten die Landwirte, um ihre zu vollen Jauchegruben zum Teil zu entleeren. Auch dies nahm seinen Lauf durch die Stadt. Im Winter wurden wahre Eisberge daraus. Sobald Tauwetter einsetzte, musste das Eis mit Pickel und Schaufel aufgehackt und zur Seite geschafft werden.
Der Gänsehirt
Sobald im Frühjahr das Gras gewachsen war, kam jeden Morgen der Gänsehirt und holte aus den Straßen die Gänse zur Weide ab. Er hieß Koppenhöhl und wohnte im damaligen Armenhaus an der Diebacher Straße. Er hatte eine Menge Kinder. Die Gänse führte er zur „großen Thulba“. Sie besteht noch wie sie war, nur sind heute schöne Schrebergärtchen dort entstanden. Am Abend zog er dann wieder mit seinen Gänsen heimwärts. Es kannte jede Gans ihr Haus.
Als Sicherheit hatten wir in Hammelburg vier Polizeidiener. Sie hatten für Ordnung zu sorgen, Polizeistunde zu gebieten und mussten mit einer Schelle die Bekanntmachungen der Stadt ausrufen.
Am Progymnasium (Latein, Griechisch, Französisch und später Englisch) waren wir 90 Schüler. Die Schule war immer gefährdet, weil wir zu wenig Kinder waren. Der Landtagsabgeordnete Dr. Probst (späterer Ehemann von Frau Dr. Probst) musste immer wieder vorstellig werden, damit die Schule erhalten blieb.
Der Unterricht war im obersten Stockwerk des Rathauses. In den Schulzimmern standen noch Kachelöfen, die vom Pedell jeden Morgen angeheizt werden mussten. Die Schüler hatten dann die Aufgabe, immer wieder dicke Holzscheite nachzulegen. Das Holz für die Öfen wurde im Rathausdurchgang abgeladen und auf den Dachboden transportiert. Dies geschah durch uns Schüler, und zwar stand auf jeder Stufe ein Mann und reichte das Holz an den nächsten weiter. Dadurch musste niemand Treppen steigen. Wir sangen Lieder dabei und fanden das schöner als Unterricht. Durch unseren Gesang fühlte sich das Personal im Rathaus gestört und protestierte.
Es waren damals als Personal: der Bürgermeister Michelbach, Inspektor Fuchs, ein Angestellter, Max Seifert, und ein älteres Fräulein, das Kauchs Lenchen. Das war die ganze Belegschaft.