Einleitung
1958 wurde auf dem „Katzenrasen“ ein neues Volksschulgebäude eingeweiht. Es beherbergt heute die Grundschule am Mönchsturm. Ihr gegenüber wurde 1970 die Hauptschule gebaut. Vorher befand sich die Volksschule Hammelburg allerdings in der Kirchgasse in dem Gebäude, in dem heute u. a. das JUZ und die Kleiderkammer untergebracht sind, allgemein noch als die „Alte Volksschule“ bekannt. Nach dem Stadtbrand von 1854 vor 1860 errichtet, bekamen Generationen von jungen Hammelburgern hier ihre Schulbildung. Eine Einteilung in Grund- und Hauptschule gab es damals noch nicht. Nach1957 hatte die „Alte Volksschule“ aber noch nicht ausgedient. Bis 1965 waren in ihr Teile des Gymnasiums untergebracht, anschließend wieder aus Raumnot Volksschulklassen.
Die Schulpflicht, 1802 staatlich angeordnet, betrug zunächst sechs Jahre, später sieben und erst im 20. Jahrhundert acht Jahre. Zu erwähnen ist noch, dass die Kinder der heutigen Hammelburger Stadtteile nicht hier zum Unterricht gingen. Diese Orte waren damals selbständige Gemeinden mit eigenen Schulen und Lehrern. Feuerthal beispielsweise besaß eine einklassige Schule, d. h. alle acht Schülerjahrgänge saßen in einer Klasse, also einem einzigen Schulzimmer. Der Unterricht erforderte somit vom Lehrer großes organisatorisches Geschick.
Als ich – ein ehemaliger Lehrer der Hauptschule Hammelburg – die Geschichte unserer Volksschule erforschen wollte, musste ich feststellen, dass die frühere Schulchronik nicht mehr vorhanden war. Glücklicherweise entdeckte ich mit Hilfe unserer Sekretärin, Frau Elisabeth Siegel, die im Folgenden behandelten „Bekanntmachungen“. Solche Aufzeichnungen enthalten wertvolle Informationen und erlauben zahlreiche Rückschlüsse auf die Schule und das Schulleben jener Zeit. Es sind Mitteilungen oder Anweisungen, Belehrungen, Vorschriften für Lehrkräfte. An der Volksschule Hammelburg wurden alle Bekanntmachungen zwischen 1934 und 1945, aber auch später, handschriftlich in zwei noch vorhandene Bücher eingetragen, deren Seiten lückenlos durchnummeriert sind. Somit sind alle diese Verlautbarungen erhalten.
Das 1. Buch (19.6.1934 – 14.9.1938) umfasst 144, das 2. Buch 290 Seiten. Im 2. Buch sind die Einträge vom 19.9.1938 bis zum 9.12.1945 auf den Seiten 1 – 155 verfasst. Es folgen zwar noch die Seiten 156 – 162, die aber hauptsächlich statis tische Angaben bis zum Schuljahr 1952/53 enthalten. Die restlichen Seiten sind nicht beschrieben. 9 lose Blätter, die sich in den Bekanntmachungen befunden haben, geben zusätzliche Hinweise. Sie wurden offensichtlich aus der damals bestehenden Schulchronik gerissen, die verschwunden ist. Fast alle Einträge sind in deutscher Schrift („Sütterlin“) verfasst. Da viele Jüngere jedoch heute kaum mehr in der Lage sind, diese Schrift zu entziffern, habe ich wesentliche Teile der Einträge zu transkribiert.
Eine lückenlose Übertragung hatte ich allerdings nicht vor. Man könnte zwar zusätzlich auch erfahren, wann hitzefrei war, dass es zur Zeit der Heuernte für Bauernkinder ½ Tag schulfrei gab, dass das Tummeln auf dem Marktplatz nicht erlaubt war oder dass während der Wässerung der Saalewiesen das Baden verboten war usw. Aber das war nicht das Anliegen. Vielmehr ging es um jene für diese Zeit typische Anordnungen, die den Geist der NS-Zeit widerspiegeln.
Sämtliche Zitate aus diesen genannten Schriften wurden mit „Anführungszeichen“ und in Kursivschrift Fett wiedergegeben. Die Fundstellen sind so gekennzeichnet: I bedeutet 1. Buch, II zweites Buch, lB lose Blätter. Wenn also hinter einer Zitatstelle (II, 84) steht, bedeutet dies: 2. Buch, Seite 84. Dass Schreibfehler nicht korrigiert wurden und dass die damals herrschende Orthographie nicht verändert wurde, ist dabei selbstverständlich.
Um Übersicht in die Darstellungen zu bringen, sind die verschiedenen Zitate jeweils zu Themen zusammengefasst. Die erklärenden und kommentierenden Worte dazwischen sollen die Situationen in dieser Zeit aufhellen.
Hammelburg, im Januar 2012
Günther Albrecht
Die Bekanntmachungen
Beide Bekanntmachungsbücher besitzen als Buchdeckel starke Pappe, mit schwarzem Papier überzogen, und haben einen marmorierten Schnitt. Der Rücken und die Ecken sind mit Moleskin verstärkt. Sie sind noch gut erhalten.
1. Lehrer
1.1 Die Schulleitung
Es war Aufgabe des Schulleiters, dieses Bekanntmachungsbuch zu führen. Irgendeine Einleitung fehlt. Lapidar steht auf der Seite 1:
„Bekanntmachungen, Schuljahr 1934/35 begonnen am 19.6.34“ (I, 1)
1.1.1 Hauptlehrer Ludwig Müller
Der erste Eintrag wurde von ihm am 19.6.1934 vorgenommen. Wie aus den losen Blättern hervorgeht, war er nicht Schulleiter; vielmehr verwaltete er die Geschäfte des Schulleiters mehrere Jahre (lB 29.4.38). Der Wortlaut dieser ersten Bekanntmachung lässt den Einfluss der Nationalsozialisten auf die Schule schon eineinhalb Jahre nach der „Machtergreifung“ sehr deutlich spüren:
„An sämtliche Lehrpersonen, einschließlich der Herren Rel.Lehrer zur Kenntnis und Unterschrift: Lehrer, einschl. d. Rel.Lehr. und Schüler (Schülerinnen) erweisen einander innerhalb und außerhalb der Schule den deutschen Gruß (Hitler Gruß.) Der Lehrer tritt zu Beginn des Unterrichts vor die stehende Klasse u. grüßt als Erster, indem er den rechten Arm erhebt u. dabei die Wort „Heil Hitler“ spricht. Die Klasse erwiedert (sic!) den Gruß in d. gl. Weise. Am Schlusse der Unterrichts wiederholt der Lehrer den deutschen Gruß vor der stehenden Klasse. Diese antwortet in gl. Weise. Sonst grüßen die Schüler u. Schülerinnen die Lehrer nur durch Erheben des rechten Armes in angemessener Haltung. Wo bisher der Kath. Rel.unterricht mit dem Wechselspruch „Gelobt …“ “In Ewigk…“ begonnen u. beendet wurde, ist der deutsche Gruß zu Beginn der Stunde vor, am Ende nach dem Wechselspruch zu erweisen.
Vorstehende ministerielle Bekanntmachung, die auf Anordnung der Bay. Schulbhörde Nr.3217 andurch erfolgt, habe ich zur Kenntnis genommen:
(Unterschriften) Müller“
Diese Anweisung war sehr detailliert verfasst und ließ keine Unklarheiten aufkommen. Offensichtlich aber wurde diese detaillierte Verfügung in Hammelburg nicht so ganz genau genommen. Am 4. Oktober 1935 steht nämlich zu lesen:
„Es besteht Veranlassung
1. auf die Seite 1 dieses Buches und
2. darauf hinzuweisen, daß sämtliche Lehrpersonen, einschließlich der Religionslehrer beider Konfessionen sich in u. außer der Schule von den Schülern mit dem deutschen Gruß haben grüßen zu lassen.
Darüber sind sofort sämtliche Schüler zu belehren, besonders aber die Kinder aus dem Waisenhaus. Laxheit in dieser Hinsicht vonseiten der Lehrer u. Lehrerinnen könnte sonst als „Mißachtung des deutschen Grußes ausgelegt werden. Müller
Hammelburg 4. Okt. 35
Kenntnis genommen und die Kinder darüber belehrt
(Unterschriften“) (I, 64)
Daraus folgt, dass die Missachtung des deutschen Grußes ein schwerwiegendes Vergehen war. Interessant ist der gezielte Hinweis auf das Waisenhaus. Dieses wurde nämlich von Ordenschwestern geleitet, Franziskanerinnen, die dem herrschenden Regime ablehnend gegenüberstanden, was dem Schulleiter nicht verborgen bleiben konnte, und die ihre Waisenkinder kaum zum „Hitler-Gruß“ anhielten. Aus diesen und weiteren Formulierungen des Schulleiters lässt sich leicht erkennen, dass er nicht nur amtliche Verordnungen in Erinnerung brachte, vielmehr ist auch seine eigene staatstreue Gesinnung zu erkennen.
„Kolleginnen und Kollegen! Eine Verfügung des Volksbildungsministers in Thüringen Pg Wächtler, früher thüringischer Volksschullehrer, in der er die Lehrer verpflichtete, für den Eintritt der gesamten Schuljugend in die Staatsjugend nachdrücklich einzutreten, kann auch für uns Vorbild sein.
Die Schulleitung bittet deshalb sämtliche Kolleginnen und Kollegen alles zu tun, um die letzten noch abseits stehenden Knaben und Mädchen für die Staatsjugend zu gewinnen. In besonders schwierigen Fällen wird persönliche Verbindung mit den betr. Eltern empfohlen.
„Unser Ziel ist 100 % baldigst Partei und Staat melden zu können.“ [Anm. rot unterstrichen]
Heil Hitler“ (I, 63)
Neunmal enden Müllers Schreiben mit dem „deutschen Gruß“, einmal formuliert er „im Sinne … unseres großen Erziehers Adolf Hitler“ – Adolf Hitler als großer Erzieher! Wenige Jahre später erinnerte man sich nur mit Grauen an seine Taten. – Jedenfalls erscheint der damalige Schulleiter Müller als ein Mann, der nationalsozialistische Gedanken in der Schule nicht behinderte, ja sogar eifrig gefördert hat. Noch lebende Zeitzeugen bestätigen diese Vermutung.
Wie Herr Anton Ruppert Herrn Lehrer Karl-Heinz Maul berichtete, wurde auf ihn vom Schulleiter starker Druck ausgeübt, da er zu den sonntäglichen Diensten der Staatsjugend nicht erschienen war. Diese waren perfiderweise genau während der Gottesdienstzeiten angesetzt. Da besuchte Ruppert aber mit seiner Familie den Sonntagsgottesdienst. Diesen Einsätzen der Staatsjugend konnte er wie viele seiner Altersgenossen schließlich dadurch entweichen, dass er alternativ zur Feuerwehr-HJ ging. Dort war die starke ideologische Indoktrination nicht anzutreffen. Dienst war hier erst nach dem Sonntagsgottesdienst.
1.1.2 Schulleiter Rektor Philipp Feser
Am 29.4.1938 steht in den erwähnten losen Blättern:
„Wechsel in der Schulleitung
Durch Regierungsentschließung von 25.4.38 wurde der Lehrer Phl. Feser zum Leiter der Volksschule in Hammelburg ernannt, als Stellvertreter Lehrer R. Kamm. Die Einführung des neuen Schulleiters nahm unter Anwesenheit sämtlicher Lehrkräfte, der Schulgemeinde, des Ortsgruppenleiters der NSDAP des Vertreters des Bürgermeisters und der HJ-Führer Herr Bezirksschulrat Keßler im Lehrerratszimmer der hiesigen Volksschule am 4. Mai vor.
Bezirksschulrat Keßler führte den neuen Schulleiter Lehrer Feser in sein Aufgabengebiet ein, dankte Hauptlehrer Müller, der bisher die Geschäfte des Schulleiters verwaltet hat, für seine ersprießliche und uneigennützige Arbeit und gab der Hoffnung Ausdruck, daß der neuernannte Schulleiter in kameradschaftlicher Zusammenarbeit mit den Lehrkräften der hiesigen Volksschule seine ganze Kraft einsetzt zum Wohle der Schule und der deutschen Jugend.“ (lB)
Anton Ruppert bemerkte dazu: „Herr Feser erschien meist in Uniform in der Schule.“ Es wäre gewiss interessant zu erfahren, weshalb Müller nicht einmal Stellvertreter des Schulleiters wurde, dieser brave Parteisoldat. Altersgründe könnten vielleicht den Ausschlag dafür gegeben haben. Sein Nachfolger war aber nicht weniger linientreu. Es ist von dem ehemaligen Schüler Oskar Böhm, Pfaffenhausen, bezeugt worden, dass Feser ein scharfer Pg (= Parteigenosse) war, der vor heftigen Schlägen bei Schülern nicht zurückschreckte, wenn er nicht mit „Heil Hitler“ im Schulhaus gegrüßt wurde. Eigenartigerweise taucht aber in seinen Bekanntmachungen niemals mehr die Erinnerung an den „deutschen Gruß“ auf.
Dass er bei seiner Partei als außerordentlich tüchtiger Parteigenosse sehr geschätzt war, ist aus der hohen Auszeichnung zu ersehen, die in den losen Blättern am 1.9.1942 verzeichnet ist:
„H. Rektor Feser Philipp wurde mit dem Kriegsverdienstkreuz 2 Kl. ohne Schwerter auf Vorschlag der NSDAP Brückenau-Hammelburg ausgezeichnet.“ (lB)
Feser schrieb seine letzte Eintragung am 1. April 1942, in der er die Osterferien ankündigte. Aus den Ferien kehrte er nie mehr an die Schule zurück. Vermutlich musste er irgendeinen militärischen Dienst an der Front antreten. Forstmeister Hermann Bock teilte kürzlich mit, dass Feser als vermisst gemeldet wurde.
1.1.3 Stellvertretender Schulleiter Julius Seufert
Da sich auch der Stellvertreter des Schulleiters, R. Kamm, nicht mehr an der Schule befindet, werden ab dem 17.4.1942 die Schulleitergeschäfte in Vertretung von Julius Seufert geführt. Seine Einträge sind im Gegensatz zu Müller in bestechender kalligraphischer Form sowohl in deutscher als auch in lateinischer Schrift verfasst.
Seufert hatte sich 1936 große Verdienste um die Heimatgeschichte durch die Sicherung eines Grabfundes am Hammelberg aus der Merowingerzeit gemacht. Damit hätte er bei den Nationalsozialisten, die auf die germanische Geschichte so stolz waren, große Meriten erwerben können. Aber ohne Parteizugehörigkeit war im 3. Reich keine Ehre einzulegen bzw. eine Beförderung nicht möglich. Bemerkenswert ist, dass er – im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen – nach dem Krieg gleich wieder den Dienst antreten durfte, sobald der Unterricht im Oktober 1945 an der Volksschule Hammelburg aufgenommen wurde. Politisch war er eben nicht belastet.
Dass er auch vorsichtig wider den Stachel löckte, berichtet sein ehemaliger Schüler und späterer Stadtrat Oskar Böhm aus Pfaffenhausen: „Herr Lehrer Seufert hat gern mit uns so ein unpolitisches Lied wie ‚Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit …’ gesungen. Dazu bemerkte er: ‚Die da oben wollen es wohl nicht gern hören. Aber es ist doch ein schönes Lied’.“
Er führte die Schule in den schwierigen Tagen der Kriegszeit und setzte sich in den Nachkriegstagen unter persönlichem Einsatz für den Erhalt des Schulgebäudes ein. Ganz plötzlich verstarb er Ende 1945. Sein Nachfolger Held hat das Wirken Seuferts in einem beeindruckenden Nachruf gewürdigt.
Ein Trauerfall. Am 9. Dezember 1945 verstarb
Hauptlehrer Julius Seufert,
z. Zt. Lehrer der 3. Knabenklasse and der hiesigen Volksschule. Bis ihn starke Ohrenschmerzen zwangen zu Bett zu gehen, hielt er treu im Dienste aus. Sein Dienst endigte nie mit Schluß der Unterrichtszeit, ihn konnte man noch in den Abendstunden im Schulhause finden, zumal als Schulleiter während des Krieges. In der schlimmen Zeit von Ende März bis zur Wiederaufnahme des Unterrichts im November 1945 war er der unermüdliche, selbstlose Hüter des Schulhauses und seiner Einrichtung. Konnte er auch nicht allen Schaden verhüten, so ist es doch ihm allein zu verdanken, dass nur ein Teil der Schulbänke, Tafeln, Pulte, Zimmertüren und Stühle von den Besatzungen des Hauses verfeuert worden ist, und somit überhaupt die Wiederaufnahme des Schulbetriebes möglich war. Er holte aus Hundsfeld fuhrenweise trockenes Holz heran, um an Stelle von Schulbänken etc. Brennmaterial zur Verfügung zu stellen, er deckte in Hundsfeld Ziegeln ab und deckte allein das schwer beschädigte Dach des Schulgebäudes um. Bis zuletzt half er, wo nur immer möglich, die glaslosen Fenster notdürftig zu verschließen, und wahrscheinlich ist, dass bei all den wochenlangen Arbeiten im zugigen Schulhause sein bisher harmloses Ohrenleiden bösartig wurde und nach kurzem Kranksein zum raschen Tode führte.
Seufert war 53 Jahre alt; an der hiesigen Schule wirkte er 26 Jahre lang. Sein Leben war ein sorgenreiches. Ihm als einem der treuesten und fleißigsten Kameraden bewahren alle, die ihn kannten, ein warmes Gedenken und wünschen ihm den ewigen Frieden. R. I. P.“
Übrigens konnte Seufert nur deshalb das genannte Material holen, weil das abgesiedelte Dorf Hundsfeld im Truppenübungsplatz lag und nach dem Krieg vom Landkreis zur Enttrümmerung freigegeben worden war. Windheim und Hammelburg sollten damit ihre Kriegsschäden beseitigen.
Der Lehrer Karl-Heinz Maul, der sich intensiv mit der Zeit des 3. Reiches in Hammelburg beschäftigt, bemerkt dazu:
„Herr Seufert war auch bei jüdischen Schülern anerkannt. Er enthielt sich jeglicher diskriminierender Äußerung. Arnold Samuels besuchte jedes Mal bei seinen Hammelburgaufenthalten das Grab seines ehemaligen Lehrers.“ [Der ehemalige Hammelburger Samuels, ein jüdischer Mitbürger, lebt heute in den USA.]
1.2 Lehrkräfte
1.2.1 Überblick
Eine Aufstellung der an der Volksschule unterrichtenden Lehrkräfte ist nicht mehr vorhanden. Da die Bekanntmachungen jedoch gegengezeichnet werden mussten, so lassen sich dennoch durch Unterschriften die meisten Lehrkräfte nachweisen. Sobald eine Unterschrift fehlt, muss eine Versetzung angenommen werden. Dies gilt mit gewissen Einschränkungen. Nicht immer wurden die Bekanntmachungen von jedem Lehrer unterschrieben, und nicht jede Unterschrift ist leserlich.
am anwesende Lehrkräfte nicht mehr anwesende Lehrkr.
19.06.34 Müller, Barthelmes, Seufert,
Dorn
Schwestern (OSF): Reginfrieda,
Clementine, Demetria, Columba
21.06.34 Erika Angelmeier
(Schuldienstanwärterin)
26.06.34 Haas Dorn
21.09.34 Feser
15.05.35 Laurentine (OSF) Reginfrieda( OSF)
14.06.35 Ildefonsa (OSF) Laurentine (OSF)
09.01.36 R. Kamm Haas
28.04.36 Dr. Hopfenmüller Barthelmes
30.04.36 Dr. Hopfenmüller
(zum Dienst bei der SS
in Würzburg beurlaubt)
21.10.36 Ullrich (im Krieg gefallen)
27.01.36 M. Nikoletta Panzer (OSF) M. Columba (OSF)
15.04.37 Hartmann M. Nikoletta (OSF)
Kollmayr M. Demetria (OSF)
Heid M. Clementine(OSF)
M. Ildefonsa (OSF)
10.05.37 Imhof
21.12.37 Söder
22.02.38 Welzbacher, Kpl.
01.10.39 Steinbauer, Vikar
23.10.39 Walter, Kpl. Müller
03.11.39 Mracek
12.04.40 Lebert, Kpl
11.07.40 Hubert, Kpl
03.03.41 Velten (geb. Mracek)
19.04. 41 Kamm Velten
05.05.41 Oßwald
15.07.41 Bärmann, Kpl.
17.04.42 Kapp Feser
10.09.42 Manjoks, Fanski? (unleserlich)
29.09.42 Schneider
19.04.43 Merkle
29.05.43 Fanski
03.09.43 Scheier,
Amanda Iff, später verh. Pöschel,
Lin in Langendorf
24.07.44 Theresia Rüsing
??.10.44 Hildeg. Precht
25.01.45 H. Rüsing
02.02.45 Gößendörfer?, Kpl.
14.10.45 Seufert Heid
Johanilla Orf Merkle
M. Aquiline Endres H. Rüsing
Held Theresia Rüsing
Romanowski
Weber
1.2.2 Veränderungen im Lehrkörper
Das Schuljahr 1937/38 brachte überall in Bayern eine große Veränderung im Lehrpersonal mit sich. Ab dem 15.4.1937 fehlen sämtliche Unterschriften der vier Ordensschwestern, die Volksschullehrerinnen waren. Unter welchem Vorwand sie die Schule verlassen mussten, ist nicht bekannt. Hingegen wurde bis zu Kriegsende der katholische Religionsunterricht weiter durch den Pfarrer Martin bzw. seine Kapläne erteilt, der evangelische durch einen Vikar. Die Umwandlung in eine deutsche Gemeinschaftsschule erfolgte jedoch erst 1938. Dazu ist auf den erwähnten 9 losen Blättern Folgendes am 26. April 1938 überliefert:
„Schuljahr 1938/39.
Schuljahrsanfang:
Das Schuljahr begann am 26. April 1938 …
Nach Einweisen der Klassen und Flaggenhissung im Schulhof begann der planmäßige Unterricht.
In Durchführung der Entschließung des Bürgermeisters der Stadt Hammelburg wurde mit Beginn des Schuljahres die
Gemeinschaftsschule
in Hammelburg eingeführt.
Wortlaut der Entschließung
„Einführung der deutschen Gemeinschaftsschule
Meinungsäußerung:
Zu Beginn der Beratung gab Bürgermeister Clement bekannt, dass bereits ein Antrag einer Anzahl evangelischer Eltern für die Umwandlung der kath. Bekenntnisschule in eine deutsche Gemeinschaftsschule vorliege. Gleichzeitig verwies er auf die Ausführungen des Rechtsberaters Dr. Umbau Würzburg in der öffentlichen Kundgebung am 11.12.1937 im überfüllten Schnabelsaal, denen die zahlreich erschienenen Erziehungsberechtigten und Eltern restlos zustimmten. I. Beigeordneter Kessler und II. Beigeordneter Köberl unterstrichen diese Ausführungen und bemerkten, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule heute unbedingt notwendig sei.
Entschließung des Bürgermeisters
Auf Grund der öffentlichen Kundgebung am 11.12.37 und auch um der einheitlichen Willensstimmung des Gaues Mainfranken in der Stadt Hammelburg sichtbaren Ausdruck zu verleihen, wird der Antrag gestellt, die kath. Bekenntnisschule in eine deutsche Gemeinschaftsschule umzuwandeln.
Auf Aufforderung des Bürgermeisters äußerten sich die Ratherren zustimmend. Abweichende Meinungen wurden nicht geäußert.
Lt. U.
gez. Clement gez. Bischof gez. Zahner
Es ist schon eigenartig, dass ausgerechnet auch dieser Eintrag aus der Chronik entfernt und in den „Bekanntmachungen“ versteckt wurde. So recht war den Hammelburgern die Umwandlung von der Bekenntnisschule in die deutsche Gemeinschaftsschule wohl nicht, wie der Chronist glauben machen will.
Es entsprach dem Selbstverständnis des 3. Reiches, dass das öffentliche Leben vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägt war. Selbstredend mussten die Schüler als die künftigen potentiellen Parteigenossen recht bald mit diesem Gedankengut vertraut gemacht werden, von dem eines seiner Schlagworte lautete “Ein Volk, ein Reich, ein Führer“. Und so ist es erklärlich, dass viele schulische Anordnungen politischen Charakter hatten.
2.1 Moderne Medien
Es ist geradezu ein Kennzeichen nationalsozialistischer Propaganda, die modernsten technischen Mittel ihrer Zeit eingesetzt zu haben. Vor allem mit den neuen Massenmedien trug sie ihre Gedanken in die hintersten Winkel des Deutschen Reiches, angeführt von dem redegewandten „Reichsminister für Volks-aufklärung und Propaganda“ Dr. Joseph Goebbels.
2.1.1 Der Tonfilm
Der Tonfilm war eines der neuesten Medien seiner Zeit, und der deutsche Film genoss damals geradezu Weltruhm; erinnert sei nur an den „Blauen Engel“. Filme übten eine große Faszination auf die Bevölkerung aus, und der Gang ins Kino war eine beliebte Freizeitbeschäftigung. So ist es kein Wunder, wenn die braunen Machthaber den Film zur Beeinflussung der Bevölkerung, aber auch schon der Schüler einsetzten. Zahlreich sind die Filme, die die Kinder als Pflichtfilme besuchen mussten. Der Eintritt betrug 15 bzw. 20 Pfennige, manchmal auch nur 10 Pfennige.
Gar so gering wie es heute klingt, können diese Beträge für mache Leute aber nicht gewesen sein. Wie sollte es sonst zu erklären sein, dass häufig 10 % Freiplätze für bedürftige Kinder zur Verfügung gestellt wurden? Trotz der großspurigen Worte von Hitler hatte sich nämlich das Einkommensniveau der einfachen Leute und der Arbeiter nicht erhöht. Es fällt zudem auch auf, dass selbst Pflichtfilme nicht kostenlos gezeigt wurden. Getreu dem Motto „Was nichts kostet, taugt nichts“ sollte so der Wert der gezeigte Filme gesteigert werden. Doch wer sich diesen Eintritt nicht leisten konnte, durfte auf diese Weise die Großmut des Staates erfahren und betrat kostenfrei das Kino. Angewiesen war der Staat ohnehin nicht auf die Eintrittsgelder.
Einen eigenen Filmapparat hatte die Schule freilich nicht. Um die Filme anzuschauen, mussten die Schüler in das Kinohaus Lang gegenüber von Café und Konditorei Claßen in der Weihertorstraße gehen. Im Rahmen des Unterrichts wurden folgende Filme im Kinohaus Lang besucht:
- „Flüchtlinge“ (Schicksal von Wolgadeutschen), 27.9.1934
- „Stoßtrupp 1917“, 15.3.1935
- „Ich für dich und du für mich“, kein Datum, wahrscheinlich Mai 1935
Dazu ist folgendes verzeichnet:
„Heute Nachmittag 2.30 wird im hiesigen Tonfilmtheater der Film vom deutschen Arbeitsdienst (Mädchenarbeitsdienst) „Ich für dich und du mir mich“ aufgeführt. Diese Vorstellung können die Schüler und Schülerinnen vom 4. Schuljahr Knaben u. Mädchen besuchen. Die Schulleitung empfiehlt sehr den Besuch. Wer nicht in den Film geht hat stundenplanmäßigen Unterricht. Die den Film besuchenden Schüler wären 215 zu entlassen. Der Eintrittspreis ist 20 Pfennig und von jedem Kind an der Kasse zu erledigen. (I, 41)
- „Triumph des Willens“, empfohlener Parteitagsfilm, 26.7.1935
- „Wolkenstürmer“ und „Tag der Freiheit“ im Bayer. Hof, 27.9.1937
- „Tannenberg“, 23.11.1937
Gemeint war sicher die Schlacht bei Tannenberg im westlichen Masuren/Ostpreußen, in der Ende August 1914 die russische Narew-Armee von der deutschen 8. Armee unter Hindenburg vernichtet wurde.
- „Männer machen Geschichte“, 2./3.6.1938
- „Mario“, 29.6.1938
„Mitteilung: Im Kinohaus Lang findet morgen nachm. 4 Uhr eine Jugendvorstellung zum Film „Mario“ statt. Der Film handelt vom Leben und Tod eines Jungfaschisten (ähnlich wie „Hitlerjunge Quex“). Ich bitte, den Schülern und Schülerinnen den Besuch dieses Filmes wärmstens zu empfehlen. Der Besuch des Filmes gilt für DJ JM als Staatsjugenddienst. Feser“ (II, 141)
[DJ = Deutsches Jungvolk, JM = Jungmädel]
- „Olympia, II. Teil“, 21.12.1938
- „Deutsches Land in Afrika“, 5./6.6.1939
Deutschland hatte vor dem 1. Weltkrieg Kolonien in Afrika: Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika; Sansibar hatte das deutsche Kaiserreich schon 1890 gegen Helgoland mit den Engländern ausgetauscht.
Am 9. Mai 1939 fand ein Farblichtbildervortrag der Gaubildstelle der NSDAP vom letzten Reichsparteitag statt, für dessen Besuch geworben werden sollte. Auch dafür wurde ein Beitrag von 10 Pfennigen erhoben. Die Eintrittskarten musste der Klassenleiter beim Schulleiter holen.
Anton Ruppert besuchte keinen einzigen Film. Er erhielt auch keine Geld von zuhause dafür.
2.1.2 Rundfunkübertragungen
Ferner wurden Rundfunkübertragungen gemeinsam angehört, wobei die Schüler die Klassenzimmer verlassen mussten, so z. B.
14.9.1936: „Morgen um 10 Uhr vormittags findet eine für die Jugend eigens eingerichtete Übertragung der Ereignisse des ‚Reichsparteitages der Ehre’ statt. Die Schulleitung ersucht die betr. Lehrkräfte bis um diese Zeit die beiden Übertragungsräume aufzusuchen.“ (I, 90)
1.10.1938: „Ab 10.30h hören die Klassen 4 mit 8 im Gemeinschaftsempfang die Ankunft des Führers in Berlin.“ (II,2)
Reichsparteitag und Ankunft des Führers. Es waren Sendungen, die sich bewusst an die Jugend richteten:
Diese Übertragungen hatten einen eindeutig politischen Charakter, die die jungen Menschen beeinflussen sollten. Immer wieder wurde ihnen die Bedeutung des Nationalsozialismus ins Bewusstsein gerufen und die Rolle des Führers, des Retters der Nation.
2.2 Schulfeiern
Innerhalb von Feiern wurde besonderer Anlässe gedacht, die für das Reich von besonderer Bedeutung waren.
Auf Seite 12 des I. Buches der Bekanntmachungen wurde folgender Zeitungs-ausschnitt geklebt:
„Am 28. Juni 1919, nachmittags um 3 Uhr 19 Minuten, wurde der Versailler Vertrag unterschrieben. Aus diesem Anlaß ist am Donnerstag, den 28. Juni ds. Js. in allen bayerischen Schulen – geschlossen oder in den einzelnen Klassen – eine besondere Saargedenkstunde zu veranstalten. Wo nachmittags unterricht wird, ist die Feier nach Möglichkeit auf die Zeit von 3 bis 4 Uhr zu legen. Die Schulen sind zu beflaggen, die Fahnen mit Trauerflor zu versehen.
Hammelburg, den 21. Juni 1934
Die Bezirksschulbehörde Keßler Fruth
Dazu muss man wissen, was in damaliger Zeit mit dem heutigen Bundesland Saarland geschehen war:
„Nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages (10.1.1920) übernahm am 27.2.1920 eine Reg.-Kommission im Namen des Völkerbundes die Verwaltung des Saargebietes. Unter ihrer Jurisdiktion konnte Frankreich seine wirtschaftlichen und politischen Interessen im Saargebiet entfalten und seinen Einfluß dort sichern: u. a. Einführung des Franc als alleiniges Zahlungsmittel (1923), Einbeziehung in das frz. Zollgebiet (1926)“ (Brockhaus 1992)
Da damals – unabhängig vom Nationalsozialismus – ein sehr starkes Nationalgefühl in Deutschland vorhanden war, das im 1. Weltkrieg heftig geschundene Frankreich nunmehr auch nicht gerade sehr zartfühlend mit den Besiegten umging, wurden solche Gedenkstunden von der Bevölkerung begrüßt. Auf diese Weise wurde aber auch der Wunsch nach „Heimholung“ der Saar und anderer Gebiete im Volke wach gehalten.
Eine ähnliche Bedeutung kam auch den Kundgebungen zu. Sie waren allerdings auch viel eindrucks- und wirkungsvoller als die Feiern. An der Vorbereitung und dem Ablauf der Kundgebung waren die Schüler in der Regel aktiv mitbeteiligt. Damit sollte ihnen bewusst werden, welche Bedeutung diese Kundgebungen hatten. Ludwig Müller trug am 26.2. 1936 ein:
„An der morgen aus Anlaß der feierl. Flaggenhissung durch die Staatsjugend veranstalteten
Großkundgebung
nehmen die Schulklassen 3 u. 4. Knaben u. Mädchen ebenfalls teil. 1. u. 2. Klasse können von den Fenstern aus die Feier miterleben. Die Kollegen bitte ich, soweit sie uniformberechtigt sind, in Uniform zu erscheinen.
Die Vorbereitungen zur Ausschmückung des Blickfeldes werden durch die Staatsjugend heute Nachmittag ab ½ 2 Uhr vorgenommen.
Die Mädchen haben ca. 30 m Fichtengirlanden zu winden. (5. mit 8. Jhrg.) Die anderen Arbeiten werden von den Knaben ausgeführt (5. mit 8. Jhrg.)
Feiertagskleidung ist für die nicht in Tracht erscheinenden Knaben und Mädchen geboten.
Die noch nicht der Staatsjugend angehörigen, aber teilnehmenden Schüler u. Schülerinnen wollen über ihr Verhalten bei der Feier belehrt werden. Das Lied „Vorwärts, vorwärts schmettern die hellen Fanfaren“ möge nochmals, textlich besonders, durchgenommen werden. Außerdem werden das Deutschland- u. Horstwessellied, von letzterem sämtliche Strofen gesungen. Die Feier beginnt10h. Bereithalten ab 945.“ (I, 74)
[„Das Horst-Wessel-Lied ist ein politisches Lied, das zunächst (seit etwa 1929) ein Kampflied der SA war und etwas später zur Parteihymne der NSDAP avancierte. Es trägt seinen Namen nach dem SA-Mann Horst Wessel, der den Text zu einem nicht genau geklärten Zeitpunkt zwischen 1927 und 1929 auf eine vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammende Melodie verfasste…Nach der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 fungierte das Lied … als zweite deutsche Nationalhymne.[1] Der Alliierte Kontrollrat verbot 1945 nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg das Lied.“ > Textbeginn: Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen …“ Zitat aus Wikipedia ]
Welchen Wert man solchen Kundgebungen beimaß, sieht man schon an der Organisation:
- Schüler führen vorbereitende Arbeiten aus.
- Im Unterricht werden die Lieder geübt.
- Schüler werden über ihr Verhalten von den Lehrern belehrt.
- Feiertagskleidung wird angeordnet.
- Die Lehrer erscheinen in Uniform.
- Der Ausdruck „uniformberechtigt“ ist bezeichnend. Wer keine Uniform tragen darf,
gehört nicht zu den Auserwählten.
Die Feierlichkeit des Ablaufes, präzise organisiert und durchgeführt, erinnert an eine militärische Parade oder kirchliche Prozession.
2.4 Arier
Der ethnologische und sprachwissenschaftliche Begriff „Arier“ führte schon in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zur fälschlichen Deutung einer Überlegenheit der „weißen Rasse“. Alfred Rosenbergs Werk „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ bot den Nationalsozialisten die theoretischen Grundlagen für ihre Rassenlehre. Die fürchterlichen Folgen konnte sich wohl niemand vorstellen.
„Der Antisemitismus engte den Begriff noch stärker ein, indem er ihm eine antijüdische Bedeutung gab: Der Arier wurde dem Juden gegenübergestellt. Der Missbrauch des Begriffs fand den stärksten Ausdruck in der Rassentheorie und –politik des Nationalsozialismus.“ (Brockhaus-Enzyklopädie, Bd. 2, 1987, S. 107)
Zum ersten Male tauchte der Begriff in den Bekanntmachungen am 21.6.1935 noch vor den Nürnberger Rassegesetzen auf:
„5. Betreffs Sonnwendfeier
ergehen nähere Anordnungen durch den Beauftragen der H.J.Führung. Zur Teilnahme sind sämtl. arischen Schüler und – Lehrpersonen verpflichtet. Heil Hitler Müller“ (I, 47)
Damit war offensichtlich, dass jüdische Schüler dabei unerwünscht waren, aber auch etwaige nicht arische Lehrer, worauf der Ergänzungsbindestrich vor „Lehrpersonen“ hinweist. Aber gab es diese überhaupt an der Volksschule in Hammelburg? Wohl kaum. Davon ist jedenfalls nichts bekannt. Aber durch sein Nichterscheinen bei der Feier könnte sich ein Lehrer ja verdächtig machen, in den Verdacht geraten, doch kein echter Arier zu sein. Ein kleines Strichlein sagte dem Eingeweihten genug.
Da der Lehrerschaft gerade in einem autoritären System eine besonders wichtige Funktion bei der Erziehung der Jugend zukommt, erging am 4.6.1937 folgender Aufruf:
„Betrifft: Arischer Nachweis der Volksschulehrkräfte.
An die Kameradinnen und Kameraden! Die Schulleitung hat bis längstens 5. Juni die ausgefüllten Fragebogen mit Urkunden (1 – 5) belegt, der Bay. Schulbehörde in Vorlage zu bringen. Es wird um Erledigung ersucht. Ludwig Müller.“ (I, 112)
Die Religionslehrer durften weiterhin an den deutschen Schulen wirken. Da erscheint es kaum verwunderlich, dass am 5.12.1938 folgendes zu lesen ist:
„Nach Nr. 9, Abs II der Bekanntmachung des Ministeriums für Unterricht und Kultus vom22.4.38 zum Vollzug des Schulaufsichtsgesetzes – Amtsblatt des Bay. Staatsmin. F- Unterr. u. Kultus Nr. 7/1938 St. 148 ff. – haben die Geistlichen, die Unterricht an den Volksschulen erteilen, den Nachweis, dass sie oder gegebenen falls ihre Ehegatten deutschen oder artverwandten Blutes sind, dem Regierungspräsidenten über das Schulamt bis zum 1.1.1939 vorzulegen. Ich erinnere an die Einhaltung dieses Termines. Feser.“ (II, 10)
Dass ein Lehrer im 3. Reich Arier sein musste, kann man ja noch verstehen, da er die Ideologie des Nationalsozialismus vermitteln musste. Bei Religionslehrern hingegen erscheint dies zumindest verwunderlich, da das Christentum ohnehin diese Theorie nicht vertrat und vom Staat immer wieder bloßgestellt und verunglimpft wurde. Dazu muss man wissen, dass auch Religionslehrer aufgrund des Konkordates vom Staat bezahlt wurden und sich somit dessen Anweisungen zu beugen hatten.
2.5 Sportveranstaltungen
Die damaligen schulischen Sportveranstaltungen mit den heutigen Bundesjugendspielen zu vergleichen, trifft die Intention dieser Veranstaltungen nicht. Nicht ohne Grund wurde auf sie größter Wert gelegt. Aus heutiger Sicht dienten sie eindeutig politischen Zielen. Irgendwo musste sie ja herkommen, die „deutsche Jugend, die flink wie Windhunde, hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder sein sollte“, wie Hitler forderte.
Die für Deutschland so erfolgreichen Olympischen Spiele 1936 in Berlin waren für den Staat ein Aushängeschild und ein Ansporn, weiterhin sportlich Weltspitze zu sein. Die Sportveranstaltungen waren militärisch straff organisiert und erstreckten sich von morgens in der Frühe bis in die Nachmittagsstunden. Eine Zeitungsnotiz, die in die „Bekanntmachungen“ geklebt wurde, gibt Auskunft über solch eine Veranstaltung:
„Deutsches Jugendfest.
Samstag, den 23. Juni 1934.
In aller Frühe werden am Samstag unsere Jungen im Turndreß durch das Städtlein marschieren und ganz Hammelburg noch einmal daran erinnern, daß der Tag der Deutschen Jugend angebrochen ist, der Tag, an dem sie wie einstens die Jugend der alten Hellenen unter reger Anteilnahme aller Erwachsenen ihre Kräfte in edlem Wettstreit messen wollen. Männer und Frauen, brummt nicht, wenn Ihr allzu ungestüm aus Eurem Morgenschlaf geweckt werdet, sondern freut Euch der Jugend, die so frisch und froh den Tag beginnt. Damit die Kleinen aber auch sehen, dass Ihr Anteil nehmt an ihrer Festesfreude, werdet Ihr es schon übers Herz bringen müssen einmal hinauszugehen zum Turnplatz, wo unsere zukünftigen Weltmeister ihre Künste zeigen. Liebe Hammelburger! Mach doch den Kindern, Euren Kindern, die Freude und kommt, wenn Ihr’s irgendwie ermöglichen könnt.
Programm:
5.45 Uhr: Antreten der Wettkämpfer auf dem Turnplatz an der Fuchsstädter
Straße und Marsch durch die Stadt.
6 Uhr: Beginn der Wettkämpfe.
9 Uhr: Vorführungen verschiedener Art.
10 Uhr: Die besten Wettkämpfer aller Altersklassen kämpfen um den Preis
von Hammelburg.
11 Uhr: Gymnastik mit Musik.
11.15 Uhr: Abermals Vorführungen und Spiele.
11.30 Uhr: Der Vertrauensmann für Jugend und Sport, Herr E. Keßler
spricht zur Jugend.
Anschließend Marsch durch die Stadt.
14.30 Uhr: Schwimmwettkämpfe und Vorführungen im Bad.
Heil Hitler A. Bittner“ (I, 8)
Ein emphatischer, rührend unbeholfener, reichlich hausbackener Ausruf des Herrn Bittner.
Schulleiter Müller bestätigt dieses Programm und fügt noch ergänzend hinzu:
„2. Das Jugendfest betreffend
…
b) Die Mädchen von der 5e, 6, 7 u. 8. Klasse werden von Frau Demetria ge-
schlossen zum Turnplatz geführt. Eintreffen dort um 8.45“ (I, 9)
Die Mädchen hatten die Funktion der Zuschauer zu übernehmen, denn es war zweifelhaft, ob die Hammelburger Bevölkerung – zu einem großen Teile damals noch mit den schweren landwirtschaftlichen oder Winzerarbeiten beschäftigt – recht zahlreich zu dem sportlichen Ereignis geströmt wäre. Hier zeigt Müller mehr Realitätssinn als der schwärmerische Bittner.
Bei den Schwimmvorführungen im Bad handelt es sich nicht um das jetzige Freibad, das erst Anfang der 70er Jahre eröffnet wurde. Vielmehr war das die „Boodschuel“ (= Badeschule) mit Aufsichtsperson, Liegewiese und Umkleidekabinen am Saaleufer, wo sich heute das Musikerheim befindet. Geschwommen wurde in den Saalefluten. Hygienische Anforderungen an die Wasserqualität stellte man nicht.
2.6 Die Hitlerjugend
Die Schule schenkte bzw. musste der HJ große Beachtung schenken. Bei Aufmärschen, Maifeiern und Sammlungen kam dieser Organisation mit ihren Uniformen stets besondere Bedeutung zu. Schon am 26.6.1934 wird folgende Statistik gefordert:
„An sämtliche Lehrpersonen! Die Schulleitung bittet um Anlegen von 3 Listen aus denen
1. die Schüler ersichtlich sind, die der H.J., J. V.,B. d. M. & J. M.
2. “ “ “ “ “ dem kath. Jugend Verein
3. “ “ “ “ die keiner Jugendorganisation
angehören.
Die Listen wollen bereit gehalten werden. Der Herr Bez.- Schulrat hat für kommende Woche seinen Besuch angesagt. Müller“ (I, 11)
Am 27.9.1935 wird Müller in den Bekanntmachungen mit dem schon auf Seite 7 abgedruckten Text sehr viel deutlicher:
„Kolleginnen und Kollegen! Eine Verfügung des Volksbildungsministers in Thüringen Pg Wächtler, …, in der er die Lehrer verpflichtete, für den Eintritt der gesamten Schuljugend in die Staatsjugend nachdrücklich einzutreten, kann auch für uns Vorbild sein.
…
„Unser Ziel ist 100 % baldigst Partei und Staat melden zu können.“ [Anm. rot unterstrichen]
Heil Hitler“ (I, 63)
Müller konnte sich hier nicht auf eine amtliche Verordnung stützen. Demnach handelte er auf eigene Faust. Damit wird wieder einmal deutlich: Nicht alle Gängeleien, nicht alle Schikanen wurden von oben angeordnet. Haben damit also alle jene recht, die da behaupten: „Am schlimmsten waren die kleinen Hitlerlich“ oder wie es damals hieß: „Wenn das der Führer wüsste …“? Ja, dann würde so etwas natürlich nicht passieren.
Mitnichten! Der wohlinformierte Staatsapparat hätte sofort eingegriffen, wenn übereifrige Volksgenossen nicht in seinem Sinne gehandelt hätten. Der Partei konnte es nur recht sein, wenn die Staatsführung als rechtschaffen, unschuldig und mitunter auch als etwas unwissend hingestellt wurde.
Es gab aber nicht nur eine massive Werbung für die HJ. Vielmehr wurden Mitgliedern der „Staatsjugend“ auch besondere Privilegien zuteil, wie die Eintragung im Oktober 1935 zeigt:
„Zur Teilnahme bei den Einweihungsfeierlichkeiten an der Landw. Schule sind morgen ab 9 Uhr befreit:
1. Sämtliche Schülerinnen und Schüler der unteren 4 Klassen, die dem
J. V., den J. M. oder den Spielscharen angehören
2. Von der Nicht-Staatsjugend diejenigen, die beim Singen oder
sonstigen Darbietungen beteiligt sind.
Sämtliche anderen Schüler haben Unterricht.“ (I, 66)
Zu allen Zeiten gab es für Schüler nicht Schöneres, als unterrichtsfrei zu haben. Jeder konnte an diesen Vorteilen teilhaben, wenn er nur nicht störrisch, sondern „klug“ genug war, zur Hitlerjugend bzw. ihren Vorstufen zu gehen. Und noch ein weiteres Bonbon hatte die Schule für diese Mitglieder parat. Müller schreibt am 15.4.1937:
„Ich mache auch darauf aufmerksam, daß Mittw. und Freitag Hausaufgaben für die der Staatsjugend angehörigen Schüler u. Schülerinnen verboten sind.“ (I, 105)
Offensichtlich war aber die Werbung für die HJ trotz verschiedener Vorteile doch nicht vom erwünschten Erfolg gekrönt, wie schon folgender Eintrag vom 4.11. 1935 zeigt:
„An sämtliche Kollegen und Kolleginnen! Der Gauschuljugendwalter hat mich beauftragt die Kollegen u. Kolleginnen dahingehend zu unterricht, dass künftighin bei der persönlichen Beurteilung der Lehrer der Prozentsatz H.J. in ihren Klassen eine ausschlaggebende Rolle spielen wird.“ (I, 67)
[Um die Wichtigkeit der Mitteilung zu unterstreichen, wurde sie in roter Farbe geschrieben]
Das war nun wirklich ein gekonnter Schachzug, nicht von Müller ausgeführt, sondern von der vorgesetzten Behörde beim Kampf um weitere Mitglieder der Staatsjugend:
1. Nicht das unterrichtliche Geschick des Lehrers, sondern der Prozentsatz von HJ-Mitgliedern in seiner Klasse war für seine Beurteilung von „ausschlaggebender“ Bedeutung. Eine schlechtere Beurteilung ermöglichte keine Karriere, führte zu finanziellen Einbußen und diente auch nicht dem Ansehen des Lehrers in der Öffentlichkeit und bei den Kollegen. Folglich musste dieser einen entsprechenden Druck auf seine Schüler ausüben, zur Staatsjugend zu gehen.
2. Es bestand zwar für den Lehrer keine Verpflichtung, selbst der NSDAP beizutreten, jedenfalls keine offizielle Verpflichtung. Wie aber sollte er Mitglieder für die HJ gewinnen, Überzeugungsarbeit leisten, wenn er selbst nicht Parteigenosse war? Damit konnte wiederum indirekt Druck auf den Lehrer ausgeübt werden. Nicht viele Lehrer – obwohl selbst nicht von den NS-Theorien und –praktiken überzeugt, konnten dieser psychischen Belastung standhalten. Seufert war einer der wenigen. Dafür bekam er auch seine Quittung, wie wir gesehen haben.
Erzählung von Anton Ruppert:
„Große Verwunderung erregte in der Schule einmal ein Schüler, der eine Meldung nach Hitler-Manier zackig machte und den Lehrer Feser auf diese Weise sehr beeindruckte. Als er dann von Lehrer Feser gefragt wurde, was er denn wohl beruflich werden wollte, antwortete er spontan: ,Bischof! Herr Lehrer.’ Darauf wurde Lehrer Feser recht kleinlaut und entließ den Schüler.“
3. Kriegsbedingte Bekanntmachungen
Der am 1. September 1939 von Deutschland vom Zaun gebrochene 2. Weltkrieg erfasste in der Folge alle Bevölkerungskreise, ihre Sicherheit, ihre Versorgung, ihr Verhalten, ihre Ernährung usw. So ist es zu verstehen, dass ein Großteil der Bekanntmachungen von den Begleiterscheinungen und Auswirkungen des Krieges bestimmt war.
3.1 Luftschutz
Einen breiten Raum in der Schule nahm damals der Luftschutz ein. Allein mehr als 12 Bekanntmachungen beschäftigten sich damit. Bereits im Juli 1936 – mehr als drei Jahre vor dem Krieg – werden die Schüler auf die „Luftschutz-Verdunkelungs-Übung“ vom 21:10 bis 22:30 Uhr aufmerksam gemacht und belehrt. (I, 88) Der erste Fliegerprobealarm findet am 2.6.1937 statt.
Aus solchen Anordnungen ist zu erkennen, dass die Kriegsvorbereitungen systematisch betrieben wurden.
“Betrifft: Fliegerprobealarm.
Auf Anordnung der Bez. Schulbehörde hat heute in der letzten Vormittagsstunde ein Fliegerprobealarm stattzufinden. Grundsätzlich gilt, dass sich sämtliche Schüler, mit Ausnahme der als Luftschutzhelfer aufgestellten Schüler und Schülerinnen der oberen Jahrgänge, sofort bei Ertönen der Alarm-Sirenen schnellstens in die Luftschutzkeller zu begeben haben:
Die Knaben in den Keller im Ostflügel des Schulgebäudes,
„ Mädchen “ “ “ “ Westflügel “ “.
Dort ist solange zu verweilen bis der Alarm als beendet gemeldet wird.
Die Verantwortung für die Durchführung des Alarms hat bei den Knaben Hptlhr. Seufert, bei den Mädchen Frl. Hptlhrin. Weber. Ihre Stellvertreter sind Herr Lhr. Kamm, bzw. Frl. Heid.
Vor dem heutigen Probe-Alarm werden die Mädchen im Lehrsaal der 5. u. 6. Klasse durch Frl. Weber, die Knaben im Lehrsaal der 7. u. 8. Klasse durch Herrn Hptlhr. Seufert belehrt“ (I, 111)
Die Keller boten immerhin einen gewissen Schutz gegen umherfliegende Splitter, Bombeneinschläge in der Umgebung oder Tiefflieger. Einen Bombentreffer hätten sie aber nicht überstanden. Später kommt zu den zwei Kellern noch ein LSR (= Luftschutzraum) im Landratsamt hinzu. Dieses war damals im Roten Schloss bzw. Kellereischloss untergebracht. Der gewölbte Weinkeller war allerdings viel stabiler als die Schulkeller.
Vom Fliegeralarm durch Sirenen bis zum Erscheinen der feindlichen Flugzeuge durfte nicht viel Zeit verloren gehen. Deshalb mussten die Lehrkräfte mit ihren Klassen rasch in die Luftschutzräume gelangen können. Deshalb erging folgende Mitteilung an sie:
11.3.1940: „Die Schlüssel zu den beiden Zugängen zum Keller im Landratsamt liegen auf dem schwarzen Brett.“ (II, 53)
Recht interessant ist in diesem Zusammenhang auch noch ein Hinweis vom 29.4.1942:
„Fliegeralarmprobe wird durch ein Trompetensignal gegeben.“ (II, 84)
Immer wieder wurde auf die Notwendigkeit eines „luftschutzmäßigen Verhaltens“ hingewiesen. Auch waren die Schüler
„darüber zu belehren, dass sie Brandbomben, Blindgänger u. sonstige abgeworfene Brandmittel nicht berühren dürfen.“ ((II, 110)
Offenbar aber hatten die zahlreichen Belehrungen nur einen geringen Effekt, so dass im Januar 1944 Seufert schreiben musste:
„Luftschutz, hier ordnungswidriges Verhalten der Schuljugend“ (II, 125)
Leider erfahren wir nicht, worin diese Ordnungswidrigkeit bestand, da lediglich auf eine beiliegende, aber nicht mehr vorhandene Verfügung hingewiesen wurde, die bekanntgegeben werden wolle. Noch im Februar oder März 1945 – es ist kein genaues Datum eingetragen – musste Schulleiter Seufert energische Verhaltensregeln erlassen und heftigen Tadel aussprechen Die Kinder waren an die zahlreichen Luftangriffe gewöhnt und wurden leichtsinnig.
„Das Verhalten der Schüler beim letzten Fliegeralarm hat zu verschiedenen Klagen und Beanstandungen geführt. Es wird deshalb nochmals bekanntgegeben.
1. Sobald durch die Sirene Fliegeralarm gegeben wird u. sich feindliche Flugzeuge über uns befinden, dürfen die Schüler nicht mehr heimgehen. Alles geht dann in die bestimmten LS-Räume. Wer trotzdem über den Marktplatz hinwegspringt, wird zur Bestrafung dem H. Bürgermeister vorgeführt.
2. Die Schüler gehen geschlossen unter Aufsicht ihrer Lehrkraft in den für sie bestimmten LS-Raum. Ich muß von jeder Lehrkraft verlangen, daß sie in Ordnung mit ihrer Klasse in den LS-Raum geht; denn sie trägt die Verantwortung für die Schüler.
3. Im Luftschutzraum nehmen die Schüler klassenweise ihren zugewiesenen Platz ein. Jede Lehrkraft ist für die Ruhe und Ordnung ihrer Klasse verantwortlich. Anwesende ältere Leute haben sich über das Herumlaufen u. laute Schreien unserer Schüler beschwert.
4. das Verbandsmaterial wurde von den Mädchen vergessen.
Der Kriegsalltag stumpfte die Kinder ab. Die ständigen Übungen und auch der häufige Luftschutzalarm hatten ihre Wirkung weitestgehend verloren. In Hammelburg war ja noch nichts passiert.
3.2 Winterliche Leibesübungen
Deutschland war und ist ein rohstoffarmes Land. So viel Material wie möglich wurde schon vor dem Krieg in die Rüstung gesteckt, für die Kriegsvorbereitung benötigt. Dass dann der Krieg erst recht zu Mängeln und Engpässen auf vielerlei Gebieten führte, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Dass dies aber schon im ersten Kriegsjahr geschah und dass davon auch der Schulbetrieb in Hammelburg betroffen war, mag erstaunen. Jedenfalls musste Schulleiter Feser am 13.1.1940 folgendes mitteilen:
„Betreff: Wanderungen, winterliche Leibesübungen.
Der Herr Bürgermeister hat mich gebeten zu veranlassen, dass vorläufig die Schulklassen in der Zeit des Krieges von Wanderungen, Rodeln, Schlittschuhlaufen Abstand nehmen. Viele Eltern haben sich in dieser Angelegenheit beschwerdeführend an ihn gewandt, weil durch diese Übungen das Schuhwerk angeblich zu stark abgenützt und beschädigt werde. Eine ausreichende Zuteilung von Bezugsscheinen für Schuhe an die Schüler kann der Bürgermeister vorerst nicht vornehmen, da infolge des niedrigen Verteilungsschlüssels in erster Linie die Arbeiter berücksichtigt werden müssen.
Ich bitte also – vorbehaltlich der Genehmigung durch das Bezirksschulamt – diese Übungen vorläufig nicht durchzuführen.
Wegen der Benützung der Turnhalle in der Landwirtschaftsschule bitte ich um Angabe Ihrer Turnstunden.“ (II, 48)
Wer die schuhmordenden Schlittschuhe jener Zeit kennt – nicht ohne Grund worden sie als „Absatzreißer“ apostrophiert – kann die Klagen der Eltern verstehen. Auch das Schlittenfahren forderte seinen Tribut vom Schuhwerk. Dass aber sogar Wanderungen die Schuhe stark abnützen würden, weist auf die ziemlich desolate Versorgungslage hin. Es war eben kein Ersatz zu bekommen, da die Schuhe und andere notwendige Artikel zugeteilt wurden.
3.3 Umgang mit Kriegsgefangenen
Kriegsgefangene waren gefangene Feinde, die in Lagern leben mussten. Vielfach war man aber auf ihre Mithilfe in der Industrie, in der Landwirtschaft oder in handwerklichen Betrieben angewiesen. Dabei sollten deutsche Bürger natürlich auf Distanz zu diesen Leuten bleiben. Schließlich waren dies Feinde, Leute, die einmal auf unsere Soldaten geschossen hatten. Dass dies umgekehrt auch so war, wurde unterschlagen.
Weil sie Feinde waren, sollten die Kontakte mit Kriegsgefangnen nur auf das Notwendigste beschränkt bleiben. Den Schülern waren natürlich die einschlägigen Vorschriften bekannt. Dafür sorgten schon die Partei, die Polizei, die Schule. Dennoch entwickelten sich offensichtlich mitmenschliche, teilweise sogar freundschaftliche Beziehungen zwischen den Gefangenen und den Schülern, sicher auch den Erwachsenen. Die Schulleitung sah sich daher gezwungen, Folgendes zu verordnen.
6. Juli 1940: „Betreff: Umgang mit Kriegsgefangenen.
Ich bitte die Schüler und Schülerinnen der Volksschule und ländlichen Berufsschule eindringlich über den Umgang mit Kriegsgefangenen zu belehren. Es ist verboten, daß die Schüler und Schülerinnen für die Gefangenen Einkäufe und Erledigungen machen. Feser“ (II, 60)
So etwas ging nach damaliger Meinung natürlich zu weit und musste unterbunden werden. Doch deutet diese Anordnung auf ein vielfach recht gutes Verhältnis zu den Gefangenen hin und dass einzelne Schüler mitunter nicht gewillt waren, sich allen Vorschriften zu beugen.
27.1.1945: „Zur Bekanntgabe in den Klassen.
Es ist bekannt geworden, dass ein Schüler bei einem Kriegsgefangenen Schokolade gegen ein Messer eingetauscht hat. Ich bitte freundlichst, erneut auf die Strafbarkeit des Verkehrs u .Umgangs mit Kriegsgefangenen hinzuweisen. I. V. Scheier“ (II, 143)
Immerhin kann man aus dieser Lappalie erkennen, dass andererseits ganz offensichtlich das Denunziantentum – oder war es Neid? – in der Bevölkerung und wohl auch unter den Schüler verbreitet war, wenn so etwas der Schule angezeigt worden ist.
Wo die Kinder mit den Gefangenen Kontakt aufnehmen konnten, ist aus den Unterlagen nicht zu erfahren. Jedoch soll sich ein Lager für serbische Offiziere in der Saaletalstraße im späteren BRK-Haus befunden haben, der ehemaligen Gerberei Happ. Auf die frühere Gerberei deutete der Thulbakanal hin, der durch das Koppesland zum Happschen Anwesen vorbei an dem Fernsehgeschäft Schumm führt. Heute ist der Kanal zugeschüttet.
3.4 Schüler aus luftgefährdeten Gebieten und Umsiedler
Im Krieg wuchs die Schülerzahl in Hammelburg sehr an, denn Kinder aus den verschiedensten deutschen Gebieten wurden hierher gebracht und gingen hier zur Schule. Weil der ländliche Raum relativ sicher vor Luftangriffen war, kamen Kinder aus „luftgefährdeten Gebieten“ häufig aufs Land.
In der Nähe des alten Sportplatzes, heute „Am Gericht“ genannt, wurden RAD-Baracken aufgestellt [RAD = Reichsarbeitsdienst]. Da in ihnen hauptsächlich Kinder aus Düsseldorf mit ihren Müttern untergebracht waren, nannte man diese kleine Ansiedlung kurzerhand „Düsseldorfer Siedlung“. Einige dieser Baracken standen noch in den Siebzigerjahren. Beliebt waren diese Großstadtkinder zumeist nicht. Sie ihrerseits werden sich aber in diesem ländlichen Raum auch nicht wohlgefühlt haben. Wegen der Zerbombung ihrer Städte konnten sie nach dem Krieg auch nicht gleich in ihre Heimat zurück.
Ebenso waren Umsiedler hier, Volksdeutsche. So zogen am 1. Juli 1942 die „Dobrudscha-Schüler“ (II, 90) fort, und im Dezember 1942 wurden 33 „Litauer Kinder“ (II, 100) erwähnt. In den losen Blättern steht:
„Schuljahr 1942/43
begann am 2. September.
Gesamtschülerzahl: 419 (ausschl. Litauer)
Die litauischen Kinder wurden v. Lehrer Naujocs u. Januscis geführt, sie traten zum Schuljahresbeginn in die hiesige Schule ein.“
Trotz des Filmes „Wolgadeutsche“ war das Verhältnis zu den Umsiedlern nicht ungetrübt, wie ein Eintrag im November 1943 zeigt, in dem der Schulleiter Seufert Hammelburger Schüler zur Ordnung ruft:
„An alle Lehrkräfte.
Betreff: Beschimpfung der Umsiedlerkinder.
Verschiedene Klagen der neueingetroffenen Umsiedler veranlassen mich folgendes bekanntzugeben:
Ich bitte jede Lehrkraft in ihrer Klasse darauf hinzuweisen, daß die neueingeschulten Umsiedlerkinder nichts mit unseren Feinden, den Russen, zu tun haben, sondern deutschen Blutes sind. Diese Leute hat das Schicksal in früheren Zeiten in fremdes Land verschlagen. Eine Beschimpfung, wie Russen, Ukrainer, Litauer, hat zu unterbleiben u. wird in Zukunft schwer bestraft. Im Gegenteil, diese Leute habe (sic!) schwere Opfer gebracht. I. V. Seufert“ (II, 123)
Am 17.11. 1943 betrug die Zahl der Schüler
aus luftgefährdeten Gebieten: 92
die der Umsiedler: 23
Im Januar 1945 wurde dem Schulrat die Zahl der Schüler aus luftgefährdeten Gebieten gemeldet. Die Zahl hatte sich ganz erheblich vergrößert. Es ergab sich diese Statistik:
Reg.-bezirk Düsseldorf: 115 Köln: 3
Reg.-bezirk Wiesbaden/Ffm: 19 Pirmasens: 32
Stadt Berlin : 3 Ludwigshafen: --
Stadt
München: 4 Aschaffenburg: 3
Nürnberg: 5 Stuttgart: 4
Mannheim: 5 Bezirk Trier: 1
Augsburg: 2 Aachen: 5
Dortmund: 2 Ostpreußen: 1
Mainz: 1
______________________________________________________
Insgesamt 232
Welch armseliges Leben die gerade von einigen Hammelburger Schüler gehänselten Umsiedler führen mussten, geht aus einer Notiz von Seufert zum Weihnachtsfest 1944 hervor:
„Um den Kindern der Volksdeutschen Mittelstelle im Hotel Post u. Kloster Altstadt eine kleine Weihnachtsbescherung bereiten zu können, werden die Schüler ersucht, eine Kleinigkeit an Äpfeln u. Plätzchen zu bringen. Es ist noch vom vorigen Jahr in guter Erinnerung, wie die Schüler gerade für diese armen Kinder gespendet haben, Die Schüler möchten etwas Obst in der Schule abgeben.“ (II, 140)
3.5 Kriegsgefahren für das Leben der Schüler
Dass der letzte Krieg auch vor der Zivilbevölkerung nicht halt gemacht hat, kann man an den vielen Luftschutzübungen erkennen. Im September 1943 wird vor dem
„Abwurf neuartiger Gegenstände aus Flugzeugen gewarnt.“ (II, 117)
Dass auch Kinder infolge ihrer Neugier und Sorglosigkeit ein tragisches Schicksal erleiden mussten, darauf weisen folgende Mitteilungen hin:
„Beim letzten Luftangriff auf Berlin stürzte in der Nacht am 27.1.[1944] ein feindlicher Bomber brennend in Sulzthal ab. Ein Knabe trat auf ein Phosphorfläschchen, die von dem abgestürzten Flugzeug umherlagen und erlitt solche Verbrennungen an Füßen und Händen, daß er in das Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Dieser Vorfall gibt Veranlassung, daß die Schüler erneut auf beiliegende Verfügung aufmerksam gemacht werden müssen.“ (II, 125)
Der Schüler starb an den Folgen.
Oktober oder November 1943:
„Gestern verunglückte der Schüler Paul von hier sehr schwer dadurch, dass er auf des Zündhütchen einer Patrone des amerikanischen Geschoßes schlug. Nach telephonischer Mitteilung v. Landratsamt dürfen Schüler mit solchen gefährlichen Dingen nicht spielen u. müssen dies Geschoße u. Teile davon sofort abliefern. Jeder, der im Besitze von Patronen ist, macht sich strafbar.“ (II, 120)
23.3.1944:
„Gestern wurde der Schüler Kessler Adam der 5. Kl. von einer Handgranate zerrissen.
Es ist dies in Hammelburg der 3. Fall, daß Schüler, die mit Munition, Handgranaten u. Schußwaffen gespielt haben, auf solch leichtsinnige Weise ihr Leben eingebüßt haben. Alle Schüler wollen nochmals eindringlichst darüber belehrt werden, dass das Spielen mit Munition u. derartigen Sprengkörpern lebensgefährlich ist.“ (II, 127)
18.4.1944:
„In letzter Zeit sind 3 Schüler in Hammelburg und 2 Schüler im Landkreis Karlstadt durch spielen mit Munition u. Schußwaffen verletzt oder getötet worden. Sämtliche Schüler u Schülerinnen sind am 1. Schultag erneut über die Gefahren zu belehren u. ihnen strengste Verhaltensregeln einzuschärfen.“ (II, 128)
Man musste sich vor den feindlichen Fliegern schützen, so gut es ging, davon künden die Luftschutzmaßnahmen, aber auch diese Mitteilung vom Februar/März 1945:
„Die Schüler sollen über Schutz d. Schüler vor Splitterbomben, Bordwaffenbeschuß durch Tiefflieger belehrt werden.“ (II, 146)
Tatsächlich schossen Tiefflieger auf harmlose Zivilpersonen. Das war nun gegen das Kriegsrecht und eigentlich auch ebenso wenig zu entschuldigen wie deutsche Gräueltaten in den besetzten Gebieten. Einerlei, man wollte so den Durchhaltewillen in der Bevölkerung brechen.
Es war aber nicht hartnäckiger Durchhaltewille der Bevölkerung, der dem Krieg kein Ende machte. Vielmehr war es die Staatsführung, die mit ihren Helfern in Partei, SS u. dgl. den Durchhaltewillen bis zum „Endsieg“ propagierte und vor brutaler Verfolgung kriegsmüder Volksgenossen nicht zurückscheute, getreu der Parole „Wir kämpfen bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone.“
Für die Bevölkerung ging aber noch eine Gefahr gänzlich anderer Art von den Flugzeugen aus:
24.7.1944: „3. Flugblätter, sonstige Schriften, Lebensmittelmarken. Die Schüler sollen nochmals auf beiliegende Anordnung der Reichsregierung aufmerksam gemacht werden u. darüber belehrt werden, daß jeder, der im Besitze eine Flugblattes oder von Fleischmarken ist, die feindliche Flugzeuge abgeworfen haben, schwer gestraft werden kann.“ (II,
Ein Flugblatt im Ruhrgebiet beispielsweise hatte den Titel „Heul Hitler“ statt „Heil Hitler", und es folgte der Aufruf zum Widerstand. Dass die Staatsführung keine Flugblätter mit feindlicher Propaganda duldete und ihren Besitz hart bestrafte, ist zwar verständlich. Was hat es aber mit den Fleischmarken auf sich? Die Lebensmittel waren in dieser Mangelgesellschaft streng rationiert, besonders das Fleisch. Jeder Einwohner bekam monatlich eine Lebensmittelkarte mit heraustrennbaren Marken für den Einkauf.
Anmerkung: Im September 1943 warfen alliierte Flugzeuge im Lahn-Kreis zum ersten Male Lebensmittelkarten ab.
„Fett, Fleisch, Butter, Milch, Käse, Zucker und Marmelade waren ab dem 1. September 1939 nur noch gegen Lebensmittelkarten erhältlich; Brot und Eier folgten ab dem 25. September…Ein "Normalverbraucher" erhielt in den ersten beiden Kriegsjahren pro Woche u.a. 2.250 Gramm Brot, 500 Gramm Fleisch und rund 270 Gramm Fett. seit dem kritischen Versorgungsjahr 1942 kam es zu einer noch strengeren Rationierung….Zur Versorgung der deutschen Bevölkerung wurden die besetzten Gebiete rücksichtslos ausgebeutet und der "Tod durch Verhungern" in Osteuropa gezielt herbeigeführt.“ (google)
Die abgeworfenen Fleischmarken sollten Unordnung in die Lebensmittelversorgung bringen. Deshalb war ihr Besitz verboten. In einem der beiden Bekanntmachungsbücher befand sich ein interessanter Fund:
50 nagelneue blaue Fleischmarken zu je 50 g, gültig bis 6.2.44.
2 ½ kg Fleisch waren eine ungeheure Menge. Soviel gab es in den ersten beiden Kriegsjahren in fünf Wochen für eine Person. 1944 musste es noch viel länger reichen. So eine Menge Marken hat sich keiner aufgehoben, wenn er legal an sie gekommen war. Der Verdacht, dass es sich um abgeworfene Fleischmarken handelte, liegt nahe. So linientreu war der Führer dieses Buches oder irgendein anderer Schulbediensteter nun aber auch wieder nicht, dass er die gefälschten, aber dennoch wertvollen Marken abgab.
4. Sammlungen
Das rohstoffarme Deutsche Reich war im Krieg von zahlreichen Importmöglichkeiten abgeschnitten. Auch die rücksichtslose Ausplünderung der Ressourcen in den besetzten Gebieten des Westens und des Ostens konnte nicht genügend Ausgleich schaffen. So musste in der Heimat alles gesammelt werden, was gerade noch entbehrlich war bzw. was die Natur schenkte. Besonders die Schulkinder wurden zu solchen Tätigkeiten herangezogen. Mehr als 20 Bekanntmachungen betreffen die verschiedensten Sammlungen.
4.1 Heilkräutersammlungen
Da für die ärztliche Versorgung der Bevölkerung chemische Medikamente knapp waren, Heilkräuter in der Medizin zudem noch eine größere Rolle spielten und Hammelburgs Fluren zahlreiche Kräuter boten, wurden die Kinder immer wieder zu Sammlungen aufgefordert. Am 23.4.1942 erging folgender Aufruf:
„Mit dem Sammeln von Heil- und Teekräutern muß jetzt schon begonnen werden. Es sind in diesem Monat zu sammeln Huflattichblüten, Schlüsselblumenblüten, Schlehenblüten, Gänseblümchen. (Schulanz. Nr. 4, S. 92)
Frl. Kollmayr mit ihrer Klasse wird das Trocknen und Verschicken der gesammelten Heilkräuter übernehmen.“ (II, 83)
Am 4.5.1942 wird der Aufruf ergänzt:
„Nach einem Rundschreiben haben sich sämtliche Schulen an der Sammlung zu beteiligen u. jede Lehrkraft soll sich mit ihrer Klasse für die Sammlung einsetzen.
Es sollen jetzt Schlüsselblumenblüten (ausgezopft) und nicht die ganzen Blütendolden, u. nicht Schlehenblüten gesammelt werden.
Ablieferung: Montag u. Donnerstag.“ (II, 85)
Auch im September wird wieder für die Sammlung geworben:
Betreff: Sammeln von Heilkräutern. Gerade jetzt bietet die Natur noch eine reiche Ernte an Blättern, Blüten u. Kräutern. Wir erreichen nur dann unsere Lieferpflicht, wenn wir in diesen Monaten noch tüchtig sammeln. Gesammelt werden jetzt Brombeer- u. Himbeerblätter, später Hagebutten Kastanien.
Gute Leistungen werden mit Auszeichnungen belohnt.“ (II, 93)
Sogar die Kartoffelferien, 1. – 6.10. 1942, sowie den 1. Mai 1944 sollten die Schüler für das Sammeln von Heilkräutern verwenden. Wie wichtig diese Tätigkeit auch von den vorgesetzten Stellen genommen worden ist, geht aus der Verlautbarung vom 19.4.1943 hervor. Jetzt durften auch Unterrichtsstunden dafür verwendet werden.
„Für unsere Soldaten an der Front sollen auch in diesem Jahre wieder Heilkräuter gesammelt werden. Es blühen jetzt die Schlehen in reichem Maße und bitte die Zeit zum Sammeln auszunützen. Nach Aussprache mit H. Schulrat dürfen auch die Naturkunde- u. die Turnstunden dazu benutzt werden, damit wir wieder ein gutes Ergebnis erzielen. Die Schlehenblüten werden auch gut bezahlt.“ (II, 107)
[Anmerkung: In Rothenbuch hing noch 1965 in der Schule eine große Landkarte mit dem schriftlichen Vermerk: „Angeschafft aus dem Erlös der Heilkräutersammlung von 1943/44“]
Aus den Bekanntmachungen ist zu entnehmen, was alles gesammelt werden musste:
- Brombeerblätter
- Himbeerblätter
- Erdbeerblätter
- Kamille
- Schlüsselblumenblüten
- Huflattichblüten
- Gänseblümchen
- Zinnkraut
- Pfefferminz
- Taubnesselblüten
- Schafgarben
- Spitzwegerich
- Holunderblüten
- Holunderbeeren
- Hiffen/Hagebutten
- Schlehenblüten
- Kastanien
Unter dem 1.5.1941 werden einmal in den losen Blättern die folgenden beachtlichen Zahlen genannt, die sich während des Krieges sicher noch gesteigert haben:
„Ergebnis der Kräutersammlung/
Getrocknetes Sammelgut = 181 kg
Getrocknete Kastanien = 575 kg“
Anton Ruppert erinnert sich aber noch an eine weitere Aufgabe der Schüler: Im Dachgeschoss der Schule wurden Seidenraupen gezüchtet. Die gewonnene Seide sollte zu Fallschirmen für die Luftwaffe verarbeitet werden. Eine Lehrerin betreute mit Schülern die Zucht. Die Schüler mussten Maulbeerblätter für die Raupen sammeln.
Die Kollegin Antonie Merz, Hammelburg, erzählte, dass sie mit ihren Schülern die „Kuhschludde“ sammeln musste. Es handelte sich um die giftige Herbstzeitlose (chochicum autumnale), die den Kühen angeblich gefährlich werden konnte.
4.2 Altstoffsammlungen
Wenn man liest, wie eindringlich immer wieder zum Sammeln von Altstoffen aufgerufen wurde und wenn man vor allem sieht, was alles gesammelt wurde, so kann man sich leicht die prekäre Versorgungssituation in Deutschland vor Augen halten. Der Sammeleifer scheint hier aber nicht immer den Vorstellungen der Vorgesetzten entsprochen zu haben. Anordnungen wie diese von 17.12.1941 kehren öfter wieder:
„Da bis jetzt in diesem Jahresviertel nur ganz wenige Altstoffe zur Ablieferung kamen, findet heute – wie bereits am Samstag bekanntgegeben – eine Altstoffsammlung statt. Eine Einteilung in Straßen erfolgt nicht. Ablieferungszeit zwischen 3 und 5 Uhr nachm. im „Katzenhaus“. Die Schüler melden ihr Sammelergebnis den Klaßlehrer.“ (II, 80)
Ein halbes Jahr später wurde die Sammlung straffer organisiert:
Betreff: Altkleider- und Spinnstoffsammlung am Samstag, den 6. u. Samstag den 13.Juni
Am Samstag wird die Spinnstoffsammlung dahier durchgeführt. Die Lehrkräfte sollen die Schüler darauf aufmerksam machen, dass die Eltern daheim alte Kleider u. Lumpen zusammensuchen sollen, die dann am Samstag um 4 Uhr abgeholt werden. Lt. Anordnung des Ortsgruppenleiters müssen wir 65 Schüler mit Handwagen u. Waschkörben abstellen. Es stellen ab
4.5. u. 6 u. 7. Jahrgang je 15 Schüler auf einer Liste.
4 Uhr im Schulhof antreten.“ (II, 87)
Ende 1943 wirbt die Schule noch einmal intensiv für die Altstoffsammlung, wobei Belohnungen versprochen werden:
„Betreff: Altstoffsammlung
Da wir in den letzten Monaten ganz wenig Altmaterial gesammelt haben, ist für heute Mittag ab 2 Uhr
eine verstärkte Altstofferfassung zum Jahresende
vorgeschrieben. Die Durchführung dieser Altstoffsammlung ist von oben angeordnet u. ich erwarte, daß sich nach den Ausführungen des H. Landrats bei der letzten Konferenz jede Lehrkraft dafür einsetzt. Es werden gesammelt: Altpapier, Eisen, Lumpen, Knochen. Für besonders gute u. fleißige Sammler werden Belohnungen abgegeben. (Siehe beiliegendes Rundschreiben) Außerdem erhalten kleinere Sammler Bleistifte, Federhalter, Farbstifte. Jede Lehrkraft stellt listenmäßig fest, was gesammelt wurde und meldet das Ergebnis zur 3. Jahresdrittelmeldung.“ (II, 124)
Waren schon die Belohnungen eher bescheiden, so darf man sich die Menge der verteilten Geschenke auch nicht sehr groß vorstellen. Immer wieder musste der Sammeleifer neu entfacht werden, sollten die Sammelergebnisse gesteigert werden. So ordnete beispielsweise das Wirtschaftsamt am 18.4.1944 einen Wettstreit an:
„Das Wirtschaftsamt hat einen Wettstreit im Sammeln von Altpapier, Knochen u. Lumpen angeordnet. Beiliegendes Rundschreiben wolle in den einzelnen Klassen bekanntgegeben werden.“ (II, 128)
Im Juli 1944 sollten die 4 besten Sammler jeder Klasse belohnt werden.
„Die 4 besten Sammler jeder Klasse sollen auch dieses Jahr belohnt werden und bitte diese auf beiliegender Liste einzutragen.“ (II, 133)
Folgendes Altmaterial wurde gesammelt:
- Altkleider
- Schuhe
- Altpapier
- Eisen
- Knochen
- Weinflaschen
- Wäsche
- Stiefel
- Bücher
- Lumpen
- Stanniol
- Gummi
In den losen Blättern findet sich folgender Eintrag:
„Ergebnis der Altmaterialerfassung/
In der Zeit vom 28. März bis 17. Juli 1 941wurden von den Volksschülern folgende Altstoffe gesammelt:
Altpapier: 2701,5 kg
Alteisen: 5390 “
Stanniol: 50,75 “
Lumpen: 1050,75 “
Altgummi: 12 “
Sonstiges: 36 “ „
Eine außergewöhnliche Sammlung wurde im September oder Oktober 1943 durchgeführt:
„Für unsere Verwundete in den Lazaretten werden zur Unterhaltung alte (wenn auch zerbrochene)Schallplatten dringend benötigt. Die Kinder sollen daheim nachschauen u. diese morgen mitbringen. Hauptl. Hartung holt sie bei uns ab u. tauscht dafür neue ein. Es gilt als Spende für unsere verwundeten Soldaten.“
(II, 118)
Noch ein Spendenaufruf vom 2.2.1945 ist erwähnenswert:
„Aus besonderen Gründen darf bis auf weiteres kein Kind das hier errichtete Lazarett besuchen.
Erwünscht ist, dass für die Verwundeten Beschäftigungsspiele (Halma, Schach u. dgl. auch Kartenspiele) gespendet würden. Annahme in der Schule.“ (II, 143)
4.3 Schädlingsbekämpfung
Die deutsche Bauernschaft – meist nur noch aus Frauen, alten Männern, Kriegsuntauglichen und Kriegsgefangenen bestehend – hatten alle Hände voll zu tun, um einigermaßen die Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten. Da sollte möglichst wenig verderben oder von Schädlingen vernichtet werde. Wo einfache Helferdienste notwendig waren, wurde ebenfalls die Schuljugend herangezogen. Am 9.5.1940 erließ der Schulleiter folgenden Aufruf:
„An die Schüler der Klassen 4 mit 8.
Betreff: Bekämpfung der Herbstzeitlosen.
Sämtliche Schüler und Schülerinnen der Klassen 4 mit 8 (außer den Wiederimpflingen!) haben heute nachm. ¾ 2 Uhr klassenweise im Schulhof zur Bekämpfung der Herbstzeitlosen anzutreten. Ein entsprechendes Gerät zum Ausstechen der Herbstzeitlosen ist mitzubringen.
Da es sich um eine Maßnahme für die Landwirtschaft handelt, können in der Landwirtschaft tätige Kinder an diesem Nachmittag nicht beurlaubt werden.
Ich mache darauf aufmerksam, dass es sich hier für die Schüler und Schülerinnen um einen Kriegsdienst handelt und die Teilnahme Pflicht ist.
Die in Frage kommenden Klaßlehrkräfte bitte ich beim Antreten zur Festlegung der Einteilung und Versäumnisse anwesend zu sein. Feser! (II, 57)
Dass die Herbstzeitlose – im Volksmund „Kuhschludde“ genannt – zwar eine giftige Pflanze ist, ist bekannt. Das Vieh frisst sie aber nicht. Deshalb ist der Sinn dieser Bekämpfung rätselhaft. Andererseits wurde von ehemaligen Schülern berichtet, dass sie nach dem Krieg Herbstzeitlosen für medizinische Zwecke sammeln mussten. Die Herbstzeitlose – botanisch colchicum autumnale – bzw. ihre Inhaltsstoffe sind auch heute noch ein wirksames Mittel gegen die Gicht. Sollte da Herr Seufert etwa sich vertan haben mit dem Ausdruck „Bekämpfung“?
Eine weitere Plage stellten die Kartoffelkäfer dar. Für die Sommerferien 1942 wurde daher am 11.7.42 bestimmt:
„Bitte Schülerlisten u. Ferienadressen bei mir abgeben; ebenso eine Schülerliste für den Kartoffelkäfersuchtag, der jeweils am Freitag in jeder Woche ist. Die Schüler der oberen Jahrgänge haben daran teilzunehmen (5. bis 7. J) Um ¾ 6 Uhr Antreten am Marktplatz! I. V. Seufert“ (II, 91)
Wie erfolgreich dieser Ferieneinsatz war, kann man am 2.9.1942 nachlesen:
„Betreff: Kartoffelkäferbekämpfung
„Da sich die Schüler am letzten Suchtag sehr spärlich eingefunden haben, hat H. Bürgermeister angeordnet, daß heute um 10 Uhr sämtliche Schüler vom 5. Schuljahr ab zum Kartoffelkäfersuchen antreten.
Da im Nachbarbezirk Kartoffelkäferlarven gefunden wurden, ist deshalb notwendig, daß mit größter Gewissenhaftigkeit und Vorsicht nach diesem Schädling gesucht wird. I. V. Seufert“ (II, 93)
5. Das Kriegsende
Das während des Krieges ziemlich verschonte fränkische Städtchen Hammelburg erlebte gegen Kriegsende dramatische, existenzbedrohende Stunden. Der Lehrer Seufert verstand sich hier in alter Schulmeistermanier offensichtlich als Chronist, als er die schrecklichen Ereignisse, die ja unmittelbar mit der Schule nichts zu tun hatten, in den schulischen Bekanntmachungen festhielt:
„Schuljahr 1945/46
Nach öfterem Fliegeralarm drangen am 27. März feindliche amerikanisch Panzerspitzen von Gemünden aus vor, teilten sich in Höllrich u. griffen von beiden Seiten das Lager an. Die meisten Hammelburger Bürger waren in den Morgenstunden mit allen mögliche Fahrzeugen in den Feuerthaler Wald geflüchtet. Mit der Bahn kamen gegen 1 Uhr deutsche Panzer v. Kissingen, wurden am Bahnhof ausgeladen u. fuhren auf der Diebacher Straße dem Feind entgegen. Amerikanische Panzer mit Spähwagen kam auf der neuen Obereschenbacher Straßem u .es kam zu einem Panzergefecht. Auf der Straße an der Siebschläferkapelle, dann im Wiesengrund, an der Saale-Brücke, am Bildschöckchen (sic!) beim Liebenthal lagen ausgebrannte amerikanische Fahrzeuge. Der Hauptkampf spielte sich am Lager ab. Weithin leuchtete das Feuer der brennenden Strohhaufen in die Nacht. Der Vorstoß wurde abgefangen, 2 Panzer erbeutet u. Gefangene gemacht. Die ausgebrochenen Gefangenen auf Lager wurden wieder eingebracht. [Ergänzung mit Bleistift: Todesopfer: Reusch]
1. April: Die Schule muß geräumt werden. Militär vom Lager wird unter Oberleutnant Hornberger einquartiert.
3. April: In den Morgenstunden Fliegerbeschuß mit Bordwaffen, Bombenabwurf am Bahnhof, Abtransport Russischer Gefangenen – Verletzte u. [kein Eintrag]
4. April: Feindliche Jabos beschießen im Tiefangriff die Gebäude am Stadtrand. Durch Leuchtspurmunition entstehen viele Brände.
5. April: Jagdflugzeuge werfen um 10 Uhr Spreng- u. Brandbomben. Ganze Häuser u. Scheunen werden zerstört: Rienecker Karl in der Judengasse, das Haus von Glasermeister Heinickel, Jos. Schultheisstr. u. die beiden Nachbarhäuser erhalten einen Volltreffer, schwer getroffen wurden die Gebäude am Viehmarkt, Metzgerei Köhler, Uhrmacher Schmidt, Saar, Schädlein, Geschwister Schnäbel-Haus.
Der vordere Flügel am Finanzamt wurde ganz zertrümmert, im Pfarrhof demolierte ein Volltreffer die vordere Wand u. alle Fenster der Kirche u. Schule
Stabbrandbomben verursachten Brände b. Streibich im Haus. Es brannten ab: das Wohnhaus v. Schellenberger Joh., die Scheunen v. Diemer, Baier Georg, Römer Gregor, Franz Breun, Kaiser Josef, Schilling Josef Todesopfer: Frau Klara Ringelmann im Luftschutzkeller Dittmeier
6. April: Gegen 7 Uhr Artilleriebeschuß von 3 Seiten; von der Höhe v. Untererthal vom Lager aus u: v. Untererthal her erhielten Treffer: die Häuser: Gößmann Café, Bezirkssparkasse, Rathaus, Uhls-, Spengler Schreiner, Legath. V. Schießplatz aus: das Bezirkskrankenhaus, das neue Städtische Wohnhaus am Katzenrasen, die Apotheke, das Legath-Haus, Hotel Post
Todesopfer: Meyerhofer Kurt, Schwester, 2 Gefangene
7. April: Kirchner Ludwig u. 2 franz. Gefangene gehen mit 2 roten Laternen dem Feind nach entgegen und übergeben die Stadt.
2 Uhr morgens hörte man das Geräusch feindl. Panzer. Früh stehen 3 Amerikanische Panzer auf dem Marktplatz u. sichern die Straßen: am Eingang v. Hotel Post gegen die Weihertorstr., am Rathaus gegen die Bahnhofstr., am Zolleck gegen die Kirchgasse. Die Leute kommen aus ihren Kellern u. Verstecken.
[Anmerkung: Es war höchste Zeit für die Übergabe. Eine Stunde später sollte Hammelburg beschossen werden.]
8. April: Bekanntmachung am Rathaus
Ausgang der Bevölkerung von 11 – 13 Uhr Beschlagnahme von Privathäusern: Deutsches Haus (Bimöller) Darlehenskasse
Abends: die Saalebrücke wird gesprengt
[Anmerkung: Hier ist der Bericht fehlerhaft. Die Saalebrücke wurde von der Wehrmacht schon eher gesprengt und nicht von den Amerikanern, die ja einen Saaleübergang brauchten. Es war ein Flüchtigkeitsfehler, der in diesen turbulenten Tagen wohl entschuldbar ist.]
9.4. Bau einer Notbrücke aus Holz über die Saale. Räumung der Schule für ausländische Zivilarbeiter
110.4. Belegung der Schule mit Polen, Russen, Holländer
Ausgang v. 8 – 10 u. von 15 -17 Uhr
Serbische u. italienische Gefangene plündern in der Stadt, holen Fahrräder, Uhren, Ringe (II, 148 – 150)
DDamit enden die Transkriptionen für die Zeit des 3. Reiches.
„Am 24. März 1945 war das letzte Mal Schule gewesen“, notierte später Schulleiter Held.
DDer Unterricht begann am 15. Oktober 1945 zunächst nur für die vier unteren Klassen.